: Auswahl im Reagenzglas
Der Nationale Ethikrat spricht sich mehrheitlich für die Embryonenselektion aus. Nur für wenige Risikopaare soll die umstrittene PID zugelassen werden. Kritiker befürchten ein Einfallstor
von WOLFGANG LÖHR
Der Bericht des Nationalen Ethikrates zu der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) war schon lange erwartet worden. Gestern Vormittag war es soweit. Fast vollzählig präsentierte das von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingesetzte Expertengremium in Berlin den zahlreich erschienenen Medienvertretern den rund 90-seitigen Bericht. Das Ergebnis selbst war keine Überraschung mehr. Eine überwiegende Mehrheit des Ethikrates sprach sich für eine „limitierte“ Zulassung der genetischen Überprüfung von künstlich gezeugten Embryonen aus.
„Wir haben bewusst auf eine Abstimmung der verschiedenen Positionen verzichtet“, sagte gleich zu Beginn der Ratsvorsitzende Professor Spiros Simitis. Er war bemüht den in der Vergangenheit wiederholt vorgetragenen Vorwurf zu entkräften, dass der Ethikrat vom Bundeskanzler bewusst eingesetzt worden war, um den kritischen Stimmen im Bundestag zur Biomedizin etwas entgegensetzen zu können. „Unserer Aufgabe ist es nicht, Entscheidungen zu fällen“, so Simitis. Das Gremium habe vielmehr die Aufgabe, Argumente für das Pro und Wider aufzugreifen und verschiedene Lösungswege aufzuzeigen.
Statt Kampfabstimmung Positionen aufzeigen
Doch wie die Mehrheitverhältnisse im Ethikrat aussehen und wer welche Position vertritt, das kann dann jeder in dem Abschlussbericht nachlesen. Fünfzehn Namen stehen unter dem Votum, dass sich für eine gesetzliche Zulassung der PID ausspricht. Sieben Mitglieder, unter anderem der ehemalige Bundesminister Hans-Jochen Vogel (SPD), die Hamburger Professorin Regine Kollek und Christiane Lohkamp von der Deutsche Huntington-Hilfe sind für die Beibehaltung des im Embryonenschutzgesetzes verankerten Verbots.
Zwei Mitglieder, der Berliner Bioinfomatiker Professor Jens Reich und der Leiter des Transplantationszentrums am Augsburger Klinikum, Professor Eckhard Nagel, schließen sich in einem „ergänzendem Votum“ zwar den moralischen Argumenten der Minderheit an und „halten den Verzicht auf Elternschaft im Konfliktfall für die angemessene Entscheidung“. Die beiden Professoren sprechen sich jedoch dafür aus, dass „die zutreffende Gewissensentscheidung des Individuums frei sein muss und nicht durch ein staatliches Strafgesetz erzwungen werden kann“. Eine Stimme fehlt noch, denn schließlich hatte Bundeskanzler Schröder einmal 25 Experten in das Gremium berufen. Die Lösung des Rätsels: Der Name Lothar Späth fehlt in dem Bericht. Wie Insider berichten, soll er in letzter Zeit bei den Sitzungen des Ethikrates nicht mehr erschienen sein.
Menschenrecht auch für Embryonen
Deutlich wurde gestern, dass ein grundlegender Dissens die Parteien im Ethikrat spaltet: die Antwort auf die Frage, ab wann und wie weit das im Grundgesetz verankerte Recht auf Menschenwürde auch für Embryonen gelten muss. „Embryonen haben den vollen Lebenschutz“, sagt Hans-Jochen Vogel. Die PID sei demnach auch nicht zulässig in Ausnahmefällen für einige wenige Risikopaare, die Träger eines schweren Erbfehler seien.
Den Vorwurf, die Befürworter der PID verträten eine grundgesetzwidrige Position, wies stellvertretend Christiane Woopen, vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uni Köln, zurück: „Auch wir sind für den im Grundgesetz verankerten Schutz. Wir haben aber auch die Pflicht, das Recht und die Freiheit auf Fortpflanzung zu gewährleisten.“ Woopen, die schon bei dem Diskussionsentwurf der Bundesärztekammer zur PID für eine begrenzte Zulassung des Embryonenchecks eingetreten war, bezeichnete das von ihr mitgetragene Votum als einen „Kompromiss“. Denn schließlich würden bei der PID nur Embryoenen selektiert werden, die entweder nicht lebensfähig seien und sehr früh absterben, oder die Feten würden später abgetrieben, wenn sich bei einer Pränataldiagnostik herausstellen sollte, das sie Träger einer schweren Erbkrankheit seien.
Nach den Vorstellungen der PID-Befürworter soll es keine Liste von Erbkankheiten geben, bei denen die Reagenzglasuntersuchung grundsätzlich zulässig ist. Jede PID-Anwendung soll als Einzelfall von einer noch einzurichtenden Kommission entschieden werden. Auch sollen nur wenige Reproduktionszentren für diese Untersuchung eine Erlaubnis bekommen.
Die Begrenzung auf wenige Fälle sei nicht durchhaltbar, sagt Vogel. Er befürchtet, wenn diese Methode erst einmal zugelassen sei, werde die Indikation für PID immer weiter ausgeweitet werden. In einigen Ländern werde die PID sogar schon angewandt, um nach einer Veranlagung für Übergewicht zu suchen.