„Sehnsucht nach Unabhängigkeit“

Percy MacLean hat den Job als Direktor des Instituts für Menschenrechte hingeschmissen. Ab März ist er wieder Richter. Ein Gespräch über Mobbing und Sterbebegleitung, allein erziehende Väter und romantische Traditionen seines schottischen Clans

Interview SABINE AM ORDE
und PLUTONIA PLARRE

taz: Herr MacLean, vor einem halben Jahr sind Sie Direktor des neu gegründeten Deutschen Instituts für Menschenrechte geworden – ein Traumjob für einen wie Sie. Jetzt haben Sie alles hingeschmissen. Hätten Sie gern weitergemacht?

Percy MacLean: Ich hätte sehr gern weitergemacht. Es war eine faszinierende Tätigkeit, die mir ganz neue Bereiche eröffnet hat – international auf der Ebene der Vereinten Nationen und des Europarates, vor allem aber auch national, was die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen angeht, aber auch von Bundestag und Bundesregierung.

Warum ist es zum Bruch gekommen?

Das weiß ich bis heute auch nicht so genau. Persönliche Dinge haben eine Rolle gespielt. Aber der Aufhänger war, dass ich innenpolitische Themen zu sehr in den Vordergrund gerückt habe.

Es heißt, Sie seien gemobbt worden.

Dazu möchte ich mich nicht äußern. Vielleicht nur Folgendes: Im Institut und im Kuratorium und dessen engstem Umfeld gibt es mindestens fünf abgelehnte Bewerber um meinen Job. In diesem Ausmaß habe ich das erst jetzt erfahren. Und verstehe nun etwas besser, dass von da keine Unterstützung zu erwarten war. Eher im Gegenteil.

Haben Sie von den Verstimmungen nichts gemerkt?

Die Konflikte in der Institutsleitung habe ich zwar gespürt, aber nicht ernst genug genommen. Ich bin davon ausgegangen, dass sie durch ein deutliches Wort geklärt waren. Das war aber ganz offensichtlich nicht der Fall. Vieles ist – wie ich heute weiß – an mir vorbeigegangen, hinter meinem Rücken besprochen worden. Ich habe erst drei Monate nach meinem Amtsantritt das erste feine Signal bekommen, dass jemand nicht mit mir einverstanden sein könnte. Schon im Dezember gab es dann im Kuratorium dieses Scherbengericht, wo fünf Stunden über mich gesprochen wurde – im Wesentlichen in meiner Abwesenheit.

Warum haben Sie nicht um Ihren Posten gekämpft?

Die Stimmung war so, dass das der Sache nicht dienlich gewesen wäre. Es gab kein Konfliktmanagement. Ich bin überzeugt, man hätte die Probleme innerhalb der Institutsleitung …

also mit Ihrer Stellvertreterin, die vor Ihrem Amtsantritt das Institut kommissarisch geleitet hatte …

… und auch mit Teilen des Kuratoriums lösen können. Aber der Zeitpunkt war bereits verpasst. Eine Trennung erschien mir als die beste Lösung.

Das hat nach einem halben Jahr auch etwas von Scheitern.

Das frage ich mich natürlich. Unter fachlichen Gesichtspunkten trifft das sicher nicht zu. Meine Arbeit ist von diesem Kuratorium, dessen Vertrauen ich letztlich nicht mehr in ausreichendem Maße hatte, als hervorragend gelobt worden; wir haben einen wirklich guten Tätigkeitsbericht vorgelegt. Wo ich vielleicht gescheitert bin, ist beim Erkennen von sich anbahnenden Gefahren im zwischenmenschlichen Bereich. Ich war wohl zu vertrauensselig. Und ich habe es nicht für möglich gehalten, dass das Kuratorium, nachdem mein Vorgänger schon vor Amtsantritt zurückgetreten war, es sich überhaupt leisten kann, sich so schnell von mir zu trennen, weil der Imageschaden für das Institut einfach zu groß ist. Ich habe mich also zu sicher gefühlt.

Was für Konsequenzen müssten jetzt gezogen werden?

Der nächste Direktor muss eine wesentlich stärkere Position haben. Einer muss verantwortlich sein. Es wird darüber nachgedacht, den Posten des Stellvertreters zugunsten eines Geschäftsführers oder Verwaltungsleiters aufzugeben, so dass die Fronten klar sind. Das wäre gut. Auch was das Kuratorium angeht, muss die Position des Direktors gestärkt werden. Im Moment besteht es aus 16 Mitgliedern, davon sind 12 stimmberechtigt, einer ist längerfristig erkrankt. Sechs Stimmen reichen also aus, um den Direktor jederzeit vor die Tür zu setzen, wenn kein Vertrauen mehr besteht. Bei vier „Anfangszweiflern“ reichen zwei zusätzliche. Das war bei mir der Fall. Wie aber soll man bei solchen Abhängigkeiten eine starke Menschenrechtspolitik machen?

Sie haben die Menschenrechtssituation in Deutschland sehr betont: das Recht auf Arbeit, die Dauer der Abschiebehaft, die Situation von Schwerstkranken. Was für eine Rolle hat das gespielt?

Mir wurde vorgehalten, dass ich diese Themen zu stark herausgestellt hätte.

Sie haben sich auch schon früher für diese Themen stark gemacht. Woher kommt dieses Engagement?

Das hängt mit meiner Lebensgeschichte zusammen. Im engsten Familienkreis habe ich die Erfahrung gemacht, wie wichtig es beispielsweise ist, dass in der letzen Lebensphase eine würdevolle Betreuung stattfindet. Da ist bei uns normalerweise zu viel Technik, zu viel Krankenhausbetrieb. Dieses Thema betrifft das oberste Grundrecht, die Menschenwürde. Das hat nichts mit Emotionen zu tun, wie mir vorgeworfen wurde, sondern ist essenziell menschenrechtlich.

Ihre Frau ist vor zehn Jahren an Brustkrebs gestorben.

Ja. Das hat mich natürlich sehr geprägt. Wir sind damals mehr oder weniger durch Zufall in die einzige Palliativstation, die es seinerzeit in Berlin gab, geraten. Es war ein Versehen der Krankentransporteure und letztlich eine ungeheuer glückliche Fügung. Ich konnte in das Krankenzimmer mit einziehen und die acht Tage, die meine Frau noch zu leben hatte, rund um die Uhr bei ihr sein. Die Betreuung war absolut hervorragend: sehr hohe Personaldichte, aber keine quälenden Therapieversuche mehr. Es wurde alles getan, damit sie sich unter den gegebenen Umständen noch einigermaßen wohl fühlen konnte. Das war für mich eine ganz bewegende Erfahrung. Das müsste ausgeweitet werden.

Ihre Kinder waren damals noch klein.

Vier und sieben.

Wie war das, als allein erziehender Vater plötzlich für alles verantwortlich zu sein?

Rückblickend kann ich mir eigentlich auch kaum noch erklären, wie ich das alles bewältigt habe. Aber das hat mich auch am Leben gehalten. Ich war 22 Jahre mit meiner Frau zusammen. Da fühlt man sich nach einer so abrupten, absolut endgültigen Trennung, als ob man eine blutende Flanke hätte, als ob man nur noch ein halber Mensch wäre. Ich habe mich damals immer wieder gefragt, ob ich nicht alles hinschmeißen, umziehen und etwas ganz anderes machen soll. Aber daran haben mich die Notwendigkeiten des Alltags und vor allem meine Kinder gehindert.

Wie haben Sie das rein organisatorisch hingekriegt? Sie haben kurze Zeit später sogar den Vorsitz einer Kammer am Verwaltungsgericht übernommen.

Mein Sohn war im Kindergarten, meine Tochter in der Schule mit Nachmittagsbetreuung. Ich habe organisiert, dass sie von da abgeholt wurden, und dann bin ich so früh wie möglich nach Hause gekommen. Das Richteramt ermöglicht einem, flexibel zu arbeiten. Dafür geht es dann in die Nächte rein. Das ist die Kehrseite.

Sie haben sich schon früher für Menschenrechte eingesetzt. Wie kam es dazu?

Als ich in Bonn studiert habe …

das war 1968.

Ja, aber in Bonn war es eher ruhig. Damals bin ich mit einer Gruppe Berliner Studenten, viele davon Maoisten, für drei Monate auf dem Landweg nach Indien gereist. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich. Wir wollten untersuchen, ob man die Entwicklungshilfe zerschlagen muss, weil sie undemokratische Strukturen stärkt. Ich hatte gerade zwei Jahre Bundeswehr hinter mir und alles war schön ordentlich. Und nun kam ich mit der Revolution in Kontakt. Das hat mich sehr geprägt.

Inwiefern?

Ich bin politisch aktiv geworden. Ich habe mich bei amnesty international betätigt, insbesondere für Vietnam. Später kam dann die Konfrontation mit leibhaftigen Flüchtlingen dazu. Besonders wichtig war dabei ein Mann aus Burundi, den ich in Bonn kennen gelernt habe. Ihm habe ich geholfen, Asyl zu bekommen. 1975 bin ich dann nach Berlin gezogen und habe hier die Flüchtlingsarbeit von amnesty begründet, die es vorher nicht gab.

Hat Ihre Familiengeschichte auch etwas mit Ihrem Engagement zu tun? Einer Ihrer Ahnen väterlicherseits hat sich im 18. Jahrhundert von Schottland nach Danzig eingeschifft …

… 1753, das war vor genau 250 Jahren. Damals hat es in Schottland die so genannten Highland Clearances gegeben, ethnische Säuberungen quasi. Da haben die Engländer die Schotten verjagt, unter dem Vorwand, dass sie zu undemokratisch und zu feudalistisch geprägt seien.

Ist Ihr Vorfahr vertrieben worden, weil er zu den Landbesitzern gehörte und sich die Engländer bereichern wollten?

Das war eher der allgemeine Hintergrund. Es ist leider nicht dokumentiert, warum er Schottland verlassen hat. Er war Kaufmann und ist in Danzig in eine schottische Kaufmannskolonie gegangen, dort hat er auch eine Schottin kennen gelernt und geheiratet. Er gehörte also zur bürgerlichen Mittelschicht, die sich sozusagen im Asylland eine neue wirtschaftliche Existenz aufbauen konnte.

Wie konnte sich der Name MacLean so lange halten, ohne eingedeutscht zu werden?

Ich bin jetzt die siebte Generation der MacLeans in Deutschland. Deshalb will ich in diesem Jahr auch ein Familientreffen organisieren. Bei uns hat nie jemand den Anlass gesehen, den Namen zu verändern oder abzulegen. In anderen Ländern ist das anders. In Russland zum Beispiel gibt es die Makleanskis, die haben sich angepasst, jedenfalls mit ihrem Namen. Aber wir alle fühlen uns als Teil dieser großen Clansfamilie. Alle fünf Jahre gibt es ein Treffen in Schottland, bei dem die MacLeans aus aller Welt zusammenkommen. Und wenn man dann mit dem Schiff hinaus zu den Hebriden fährt und „unser“ Duart-Castle auf der Klippe der Insel Mull auftaucht, dann geht einem schon das Herz auf.

Sie haben mit Percy auch noch einen englischen Vornamen. Wie sind Sie damit in Thüringen klargekommen, wo Sie als Kind gelebt haben?

Der Name ist wirklich englisch, er ist irgendwann mal über einen Onkel in die Familie gekommen. Mein Zwillingsbruder Donald hat einen schottischen Vornamen, der passt besser. In Thüringen, wo wir gelebt haben, bis ich fünf war, konnten die Leute mit beiden Namen aber nichts anfangen. Deshalb wurden wir dort auch Hänschen und Hermännchen genannt.

Haben Sie auch einen Kilt?

Nein, keinen Rock, den könnte man hier ja nur zu Karneval tragen. Aber wir haben natürlich den Tartan, also das clanstypische Farbmuster, und davon sogar zwei: einen in Rottönen, der ist zum Ausgehen, und einen für die Jagd, der ist in Grüntönen.

Und benutzen Sie die auch?

Ja, ich habe Krawatten mit beiden Mustern. Aber bei den Clanstreffen in Schottland hat die Hälfte der Gäste, beim letzten Mal waren es tausend, immer den richtigen Kilt an. Wir werden dann vom Chief des Clans huldvoll am Castle empfangen. Und dorthin gibt es eine richtige Prozession. Es hat sich also eine romantische Tradition erhalten.

Kommen wir vom romantischen Schottland zurück in die harte Berliner Realität. Ab März sind Sie wieder am Verwaltungsgericht. Können Sie sich das überhaupt vorstellen?

Kann ich, auch wenn es jetzt gerade nicht meine Traumvorstellung war. Aber ich habe beim Institut ungeheure Erfahrungen gesammelt, die werden meine richterliche Arbeit beeinflussen, gerade was den internationalen Bereich angeht. Zum Beispiel wollte ich in einer Studie untersuchen lassen, ob das Menschenrecht auf Arbeit auch bedeutet, dass man Flüchtlingen nicht auf längere Zeit die Arbeitsmöglichkeit nehmen darf. Ein Arbeitsverbot über mehr als zehn Jahre, wie es das in Berlin für viele Bürgerkriegsflüchtlinge gibt, halte ich danach für sehr problematisch.

Anders als im Institut brauchen Sie jetzt einen konkreten Fall, um etwas zu bewegen.

Ja, aber genau das ist mir auch wichtig im Vergleich zu der überwiegend theoretisch geprägten Arbeit im Institut: dass man mit konkreten Fällen zu tun hat, mit Menschen.

Hört sich fast so an, als würden Sie die Arbeit als Richter vorziehen. Vor Ihrem Amtsantritt am Institut haben Sie noch gesagt, jetzt könnten Sie endlich auf einer anderen Ebene Einfluss nehmen. Ist dieser Traum ausgeträumt?

Der ist zunächst mal ausgeträumt, aber ich werde bestimmt keine Ruhe geben.

Was könnte die nächste Etappe sein?

Jetzt kommt erst mal wieder das Gericht. Ich übe den Richterberuf wirklich gerne aus. Und durch dieses kurze Intermezzo habe ich die richterliche Unabhängigkeit noch mehr zu schätzen gelernt. Ich sehne mich sogar danach. Aber es kann auch etwas anderes kommen, was wieder breitere Möglichkeiten bietet. Wie das konkret aussehen soll, weiß ich zwar noch nicht. Ein erstes Angebot passte jedenfalls noch nicht so recht. Aber ich habe Blut geleckt.