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Archiv-Artikel

Ehrgeiz ist geil!

„Deutschland sucht den Superstar“ (19.10 Uhr, RTL) erzielt endlich die Hysterie, auf die die Sendung angelegt ist – die Mischung aus Blut, Schweiß und Tränen beschert den Machern Quotenrekorde

von CLEMENS NIEDENTHAL

Deutschland sucht den Superstar. Das war, wir erinnern uns, nicht immer so. Trotz Bild. Trotz Bohlen. Nur mühsam etablierte sich da etwas in der deutschen Fernsehlandschaft, was eigentlich als medialer Paukenschlag konzipiert war. Nicht viele wollten junge Menschen singen sehen, die dazu ohrenscheinlich nicht in der Lage waren.

„Da kam einer rein, hat gesungen wie ’ne Quarktasche, da haben wir gesagt ‚auf Wiedersehen‘“ – Chefjuror Dieter Bohlen höchstselbst hat die Selbstfindungsphase der Casting-Show recht prägnant zusammengefasst. 10.077 hoffnungsfrohe Kandidaten. Die meisten mit nicht viel mehr Kapital als einem H&M-Oberteil und einer Make-up-Komposition, die vermutlich aus der Bravo abgemalt war. Deutschland spielte den Superstar. Die Sendung dümpelte bei knapp vier Millionen Zuschauern im Vorabendprogramm. „Deutschland sucht den Superstar“ wurde auch zur Niederlage eines schlechten Geschmacks. Immerhin. Noch keine Spur aber von jener kollektiven Erregung, die vor Jahresfrist ganz Großbritannien taumeln ließ. Dort liebte das Volk die „Superstar“-Vorlage „Pop Idol“ ganz, ganz arg. Selbst der linksliberale Guardian, auch Stimme der angelsächsischen Intelligenzija, sprach von einem „Demokratiegewinn“. Und deren Autorin Julie Burchill merkte an, eine Madonna wäre vom televotierenden Publikum nie zum „Pop Idol“ erkoren worden – sie sänge einfach zu schlecht.

Gracia und Alexander singen richtig gut. Will heißen: Sie singen richtig, und sie singen gut. Was auch, so der gern kolportierte „Superstar“-Diskurs, an den preußischen Sekundärtugenden liegen könnte. Ist die vom Pop-Vermarkter Simon Fuller in bisher 42 Länder verkaufte Talentshow also letztlich ein erschreckend deutsches Format? Dieter Bohlen zumindest findet „Menschen mit Ehrgeiz geil“ – und wird nicht müde zu betonen, wie hart und vor allem wie diszipliniert die fünf verbliebenen Supersternchen an ihrer Karriere arbeiten.

Nur, dass der Dieter dafür gern andere Vokabeln benutzt. Das Attribut fleißig etwa kommt ihm häufig über die Lippen. Und aus der Karriere wird nicht nur im platinveredelten „Superstar“-Superhit „We have a dream“ ein kollektiver Traum. Ein Traum, der für die zuletzt über zwölf Millionen Zuschauer in doppelter Weise erfahrbar wurde: Als glitzerndes Aschenputtelmärchen und als rational zu begreifende Wertarbeit.

Vielleicht sind die „Superstars“ so etwas wie die Working-Class-Heroes einer postindustriellen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich tatsächlich weniger nach dem Mozart-Wunderkind sehnt als nach ehrlichem Schweiß und ehrlichen Tränen. Eine Entwicklung, die sich ja schon in der medialen Genese der „No Angels“ – damals noch bei der kleinen Schwester RTL 2 – abzeichnete. Zentrales Stilmittel waren und sind immer jene Momente, in denen all die Willenskraft und all die Anstrengungen physisch erlebbar werden. Ackern bis zum Umfallen. Die „No Angels“ lagen ziemlich oft am Boden.

Und auch die „Superstar“-Shows kommen nicht ohne ausgiebige Berichte über das schweißtreibende Tanztraining oder die stundenlangen Stimmübungen der Kandidaten aus. Unglamouröses Fernsehen in unglamourösen Zeiten beinahe.

Da passt es wunderbar ins Bild, dass sich Dieter Bohlen beim Talk mit Johannes B. Kerner als schlichter Häuslebauer aus einem Dorf bei Hamburg stilisiert. Ganz viel Bodenhaftung also, die der Bestsellerautor auch seinen singenden Schutzbefohlenen wünscht: „Sonst wird man irgendwann Maria Carey und landet in der Klapsmühle.“

Und genau aus diesem Grund wird das fernsehende Wahlvolk wahrscheinlich nicht für die professionell-laszive Juliette, den niederbayrischen Paradiesvogel Daniel Küblböck oder die – dank Bild-Berichterstattung – verruchte Lolita Vanessa votieren. Genau aus diesem Grund werden wohl Alexander und Gracia, die beiden schlicht durchschnittlichsten Kandidaten, den ausgelobten Plattenvertrag mit der Bertelsmann Music Group unter sich ausmachen. Was man im übrigen auch schon bei Theodor W. Adorno nachlesen konnte: „Die von den Talentjägern aufgespürten und dann vom Studio groß herausgebrachten Figuren sind Idealtypen des neuen abhängigen Mittelstandes.“ Woran sich auch nichts ändern dürfte, wenn der abhängige Mittelstand – wie im Falle von „Deutschland sucht den Superstar“ – selbst zum Talentjäger wird.

Nicole, Nektarios und all die übrigen Verlierer brauchen indes kaum traurig sein. „Bolenski macht trotzdem ’ne Platte mit euch“, hat sich der Dieter im ZDF gleich einmal selbst zitiert.