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Archiv-Artikel

Das Ende vieler Hoffnungen

Mit Gianni Agnelli, der den Ruf sowohl eines draufgängerischen Playboys wie auch eines der letzten großen Firmenpatriarchen genossen hatte, stirbt im Fiat-Imperium auch die Zuversicht, dass sich die Autosparte des Konzerns schon irgendwie retten lasse

aus Rom MICHAEL BRAUN

Binnen einer halben Stunde erreichte der Umsatz der Fiat-Aktie mit 2,7 Millionen verkauften Papieren das sonst an ganzen Börsentagen erzielte Volumen, der Kurs kletterte um zeitweise gut 6 Prozent: So euphorisch-zynisch reagierte Mailands Börse gestern morgen auf die Nachricht vom Tod Gianni Agnellis.

Denn wenn es ein Zufall war, dass die Agonie des schließlich einem Prostatakrebs erlegenen 81-jährigen Firmenpatriarchen zusammenfiel mit der schweren Existenzkrise des von seiner Familie kontrollierten Imperiums, dann war es einer von symbolischer Bedeutung. Noch im Tod zeigte sich, wie sehr Gianni Agnelli das Gesicht des italienischen Privatkapitalismus war.

Dabei hatte er bloß als Enkel angefangen, als Enkel jenes Mannes, der 1899 die „Fabbrica Italiana Automobili Torino“ gegründet und dank der Kriegsproduktion im Ersten Weltkrieg zum Großunternehmen gemacht hatte: Giovanni Agnelli sr. Dieser entzog Giovanni jr. nach dem Tod des Vaters seiner Mutter, weil die eine Liaison mit dem Schriftsteller Curzio Malaparte eingegangen war.

Bis Agnelli sich aber um Fiat kümmerte, verging einige Zeit, auch wenn schon 1946 nach dem Tod des Gründer-Großvaters Vizepräsident wurde. Den Nachkriegsboom verfolgte er aus der Ferne: Lieber als in Turin weilte er in Saint Tropez und umgab sich mit schönen Frauen. Noch bis zuletzt blieb er Erfinder schräger Moden wie der Macke, die Armbanduhr auf statt unter der Manschette zu tragen.

Wendepunkt wurde das Jahr 1966, als Agnelli die Präsidentschaft des Konzerns übernahm und vom wichtigsten Eigentümer zum bedeutendsten Unternehmer des Landes mutierte – in schwierigen Zeiten: Spätestens seit dem heißen Herbst 1969 stand das Unternehmen unter dem Dauerdruck der Gewerkschaften, deren militantesten Kräfte in den Turiner Fiat-Werken aktiv waren. Hinzu kam die Ölkrise von 1973 und später der Linksterrorismus, der im Fiat-Management eine bevorzugte Zielscheibe hatte.

Agnelli steuerte Fiat durch diverse Krisen, als Mann des Dialogs, aber auch der Konfrontation: 1975 schloss er als Präsident des Unternehmerverbandes Confindustria mit den Gewerkschaften den Pakt über die „Scala mobile“, die automatische Lohnanpassung an die Inflation. 1980 aber bereitete er den gleichen Gewerkschaften im Streit über Personalabbau bei Fiat eine epochale Niederlage – und machte sich so zum Vorreiter der Flexibilisierung, aber auch eines neuen Herr-im-Haus-Standpunkts.

Mit den Krisen und Fiat wuchs Gianni Agnellis Prestige. Während die großen Dynastien des italienischen Kapitalismus, die Olivetti, Pirelli, Falck, an Glanz verloren oder verschwanden, prosperierte sein Imperium. In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre kontrollierte es ein Viertel der an Mailands Börse gehandelten Werte. Als Autobauer wurde Fiat mit dem Zukauf von Alfa Roma (1987) zum größten europäischen Produzenten noch vor Volkswagen. Agnelli war der einzige italienische Kapitalist in der Weltliga, 1991 wurde er vom Staatspräsidenten zum Senator auf Lebenszeit ernannt.

Heute kontrolliert die Holding Firmen im Nutzfahrzeug- und im Flugzeugbau, im Tourismus, im Einzelhandel, Stromlieferanten, Zeitungen. Im Kerngeschäft Pkw aber verlor Fiat den Anschluss und musste zusehen, wie sich die Anteile auf dem Heimatmarkt von fast 60 auf 30 Prozent halbierten. Hinzu kamen private Schicksalsschläge: Der von ihm nach der Niederlegung der Fiat-Präsidentschaft 1996 als Nachfolger ausersehene Neffe Giovanni Agnelli starb 1999 jung an Krebs, ein Jahr später nahm sich Sohn Edoardo das Leben.

Trotzdem arbeitete der Patriarch bis zuletzt verbissen an einer Familienlösung der Krise: Just zur Stunde seines Todes traf gestern der Familienrat der 70 Mitglieder der „Agnelli KG“ zusammen, um Giannis jüngeren Bruder Umberto als künftigen Präsidenten zu nominieren. Bis zuletzt galt Gianni Agnelli als der Mann, der von einem Verkauf der Autosparte ebenso wenig wissen wollte wie von einem Rückzug der Familie aus Fiat. So wundert es nicht, dass das Frauenkomitee des Werks Termini Imerese – des sizilianischen Standorts, der bei der Fiat-Sanierung womöglich vor der Schließung steht – wissen ließ, ihm tue Agnellis Tod nicht bloß menschlich Leid. An ihn sei die Hoffnung auf ein Überleben von Fiat Auto geknüpft gewesen. Eine Sicht, die die Börsianer gestern aus anderer Perspektive teilten: Sie hoffen offenbar auf die profitable Zerlegung des Konzerns.