: Verfahrensfehler bei Euratom-Krediten
Grüne und Umweltschützer werfen der EU-Kommission vor, hinterrücks atomfreundliche Politik zu betreiben
BRÜSSEL taz ■ Schwere Vorwürfe erheben die Grünen im Europaparlament und europäische Umweltschutzorganisationen gegen die Atompolitik der EU-Kommission. Laut einer Liste, die Friends of the Earth diese Woche zugespielt wurde, soll der russische Reaktor Kursk-5 mit Euratom-Krediten fertig gebaut werden. Da es sich bei dem Projekt 30 Kilometer südlich von Moskau um einen Meiler vom gleichen Typ wie Tschernobyl handelt, kann er nicht auf westliche Sicherheitsstandards nachgerüstet werden. „Dieser Skandal nährt erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kommission, die behauptet, im Interesse der nuklearen Sicherheit zu handeln“, sagt der Friends-of-the-Earth-Atomexperte Mark Johnston.
Im November hatte die EU-Kommission die Finanzminister aufgefordert, den Kreditrahmen für Euratom von 4 auf 6 Milliarden Euro zu erhöhen. Die kritische Marge von 3,8 Milliarden Euro vergebener Kredite sei erreicht. Das ist falsch, behauptet der britische Atomexperte Antony Froggatt. Im Auftrag der Grassroots Foundation (Deutschland) und der Plattform gegen Atomgefahren (Österreich) hat er die Euratom-Kredite untersucht und kommt zu dem Schluss, dass derzeit 3,082 Milliarden Euro vergeben sind.
Frogatt nennt das einen Verfahrensfehler und schreibt in seinem Gutachten: „Der Antrag (zur Aufstockung des Euratom-Kredits) muss vom Rat abgelehnt werden.“ Ein Argument, das sich zumindest die Bundesregierung gern zu Eigen machen wird. Sie kann zu Hause immer schlechter erklären, wie sich das nationale Ausstiegsprogramm damit vereinbaren lässt, in den östlichen Nachbarländern neue Reaktoren zu subventionieren.
Dass in einer Union, in der sieben Mitglieder keine Atomkraftwerke haben und fünf weitere den Ausstieg bereits beschlossen haben, eine gegenläufige Förderpolitik betrieben werden kann, liegt am Euratom-Vertrag. Er sichert der Atomkraft eine Sonderrolle, die sämtlichen Binnenmarktregeln zuwiderläuft. So leistet sich die Kommission ein eigenes Nuklearforschungszentrum mit mehr als 1.000 Wissenschaftlern. Das Forschungsbudget von 246 Millionen Euro pro Jahr wird nicht innerhalb des Forschungsrahmenprogramms vom Parlament kontrolliert, sondern von der Kommission verwaltet – weitgehend frei von öffentlicher Kontrolle. Außerdem ist es mehr als doppelt so hoch wie die Mittel, die für die Entwicklung erneuerbarer Energien aufgewandt werden. „Die Spezialwirtschaftszone Atom muss abgeschafft werden“, fordert der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes. Das sei unabhängig davon, ob man die Atomkraft befürworte oder bekämpfe. Die Binnenmarktregeln müssten für alle Bereiche gelten. Deshalb fordern EU-Parlamentarier quer durch alle Parteien, das Vertragsfossil aus dem Jahr 1957 zu überarbeiten, am besten aber ganz abzuschaffen. Sollte das nicht gelingen, kann die atomfreundliche Energiekommissarin Loyola de Palacio ihr Lieblingsprojekt verwirklichen: mit russischem Erdgas in Mitteleuropa die CO2-Emissionen senken und gleichzeitig mit europäischem Geld in Russland Atomreaktoren bauen.
DANIELA WEINGÄRTNER