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Archiv-Artikel

Die Lobbyistin der Armen

Manchmal fallen Termine und Personalien fast schicksalhaft zusammen: Vor einigen Jahren noch war Horst Seehofer im Gespräch, um Walter Hirrlinger als Chef des mächtigen Sozialverbands VdK abzulösen. Wie bei der bayerischen Unionspartei gab es in diesen Tagen auch einen Wechsel an der Spitze des VdK, wenn auch mit weniger Reibung. Ulrike Mascher ist seit Dienstag neue Chefin des Sozialverbands. Sie löste Hirrlinger ab, der aus Altersgründen geht. Seehofer ist weiter im Gespräch – allerdings für einen ganz anderen Posten

Für die 69-jährige langjährige SPD-Politikerin Mascher war es nicht selbstverständlich, dass sie eines Tages Deutschlands größtem Sozialverband vorstehen könnte. Genauso gut hätte ihr Weg in Hollywood enden können. Oder zumindest im Münchner Stadtteil Freimann, wo die bayerischen Filmstudios ihren Sitz haben.

Während ihres Jurastudiums jobbte sie als Regieassistentin, arbeitete in den 60ern mit den Größen des „jungen deutschen Films“, mit den Schamoni-Brüdern und Alexander Kluge. Doch der Weg ging anders – statt für das Kino half sie mit, bei der Allianz Versicherung Schulungsvideos zu drehen. Ein Freund hatte sie gefragt, ob sie dort nicht ein Studio für audiovisuelle Informationsmedien aufbauen wollte. Bis 1990 arbeitete Mascher als Versicherungsangestellte – dann ging sie in die Politik. Von 1998 bis 2002 arbeitete sie als Staatssekretärin unter Arbeitsminister Walter Riester. Das ist insofern interessant, als Riester das private Ansparen fürs Alter in Deutschland propagierte. Angesichts der Turbulenzen auf den Finanzmärkten scheint nun ausgerechnet seine ehemalige Staatssekretärin skeptisch zu werden: „Die Höhe der gesetzlichen Rente ist zwar nicht mehr ganz so sicher wie zu Norbert Blüms Zeiten, sicherer als jede Form der kapitalgedeckten Rente ist das bewährte Umlageverfahren allemal.“

Mascher stellt eine Reihe Forderungen, die denen Hirrlingers sehr ähnlich klingen: Die Hartz-IV-Regelsätze müssen steigen, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel müsse fallen, auch für die Abschaffung der Studiengebühren spricht sich der VdK aus. „Ein Erfolgskonzept sollte man nicht grundlegend umstoßen“, sagt Mascher. Der VdK sieht sich gut aufgestellt. Inzwischen gehören dem Verband 1,4 Millionen Mitglieder an. Und auch die Mitgliederstruktur hat sich rasant gewandelt: Es sind nicht mehr nur RentnerInnen, sondern auch viele Arbeitslosengeld-II-Empfänger, Pflegebedürftige und Angehörige. Mascher selbst versteht sich auch als Beispiel dieser Entwicklung: „Der VdK ist jünger, vielfältiger, offener und, wie Sie sehen: weiblicher geworden.“ BERND KRAMER