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Archiv-Artikel

Mehr als Lehmhütten

Globales Lernen steht an vielen Schulen pflichtgemäß auf dem Lehrplan. Doch exotisches Obst und Stoffe batiken vermitteln kein realistisches Bild von der Welt. Die Vorgaben der Kultusminister sind wage, es fehlt die Forschung, kritisieren Experten

VON MONA HOPE

Sie haben Partnerschulen in Südamerika, veranstalten einen Afrika-Workshop oder organisieren den Verkauf von fair gehandelten Produkten: Immer öfter steht der Blick in die Welt an Schulen auf dem Lehrplan. Doch Experten bezweifeln, ob dabei ein realistisches Bild von anderen Teilen der Welt vermittelt wird.

„Globales Lernen und eine Reflexion über Privilegien und Sichtweisen weißer Europäer sollte fächerübergreifend im Unterricht verankert werden“, sagt Anke Schwarzer vom Eine Welt Netzwerk Hamburg (EWNW e.V.). Es müsse jedoch darauf geachtet werden, dass die Seminare nicht das Gegenteil bewirkten. „Wenn Kinder in einem Afrika-Workshop nur Lehmhütten bauen, exotisches Obst verspeisen und Stoffe batiken, dann verstärkt dies Bilder, wonach es in afrikanischen Ländern keine Hochhäuser, CD-Player, elektrischen Küchengeräte und Markenklamotten gibt.“

Ein sorgsamer Umgang bei der Vermittlung solcher Inhalte scheint umso mehr notwendig, als die UN-Mitgliedsstaaten vor sechs Jahren aufgerufen wurden, die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung in ihren Bildungssystemen zu verankern. In Deutschland verabschiedete daraufhin im Jahr 2007 die Kultusministerkonferenz (KMK) einen „Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Entwicklung“, der die Umsetzung dieser Ziele an den Schulen erleichtern soll. Doch wie kann man Kindern die Grundsätze nachhaltiger Entwicklung nahe bringen? Und welche Kompetenzen werden für ein Leben in der Weltgemeinschaft tatsächlich gebraucht?

Das sei durch den KMK-Orientierungsrahmen nicht ausreichend geklärt, kritisiert Barbara Asbrand, Professorin für Schulpädagogik und empirische Unterrichtsforschung an der Georg August-Universität Göttingen. Ebenfalls ungeklärt bleibe, wie die Lernziele überprüft werden könnten. Die Ursachen für diese Defizite lägen auf der Hand: „Im Bereich des globalen Lernens gibt es fast keine Forschung.“

Letztlich würden die Lehrer nun mit der Umsetzung allein gelassen. Viele verlassen sich deshalb auf die Kompetenzen außerschulischer Fachkräfte. Größter Anbieter in Hamburg ist die Open School 21. Es bestehe eine enge Zusammenarbeit zwischen der Nichtregierungsorganisation und Hamburger Bildungseinrichtungen, bestätigt Martin Speck von der Schulbehörde. „Angebote von Open School 21 werden von vielen Schulen nachgefragt.“ Diese ermöglichen Schülern und Lehrern Zugang zu Themen, die in den Medien und im Schulalltag weniger Beachtung finden.

Konsumkritische Stadtführungen machen deutlich, wie sehr Globalisierung Teil unseres Lebens ist. Junge Flüchtlinge erzählen den Schülern, wie es ist, in Hamburg mit einer Duldung zu leben. Ein Ivorer beschreibt seine Schulzeit in der Elfenbeinküste und eröffnet so einen ganz anderen Blick auf die französische Kolonialzeit. „Das sind Lernerfahrungen, die über Bücher oder Internet hinausgehen“, sagt Ellen Prowe, Mitarbeiterin der Open School.

Auch die Themen Musik, Tanz und Kunst sind Teil ihres Programms. „Insbesondere jüngere Schüler erreichen wir durch solche Workshops.“ Dabei nicht die gängigen Klischees zu bedienen und so ein verzerrtes Bild anderer Kulturen zu erzeugen, sei eine große Herausforderung, sagt Prowe. In den Veranstaltungen mit Afrika-Bezug etwa werde die Vielfalt afrikanischer Lebensrealitäten abgebildet: „Moderne, zeitgenössische Kunst findet neben traditioneller Malerei ebenso Berücksichtigung wie Rap aus dem Senegal neben Djembémusik“, erläutert Prowe. „Wichtig ist uns auch, Bezüge zur Lebenswelt der Schüler hier herzustellen, anstatt ausschließlich in die Ferne zu schweifen.“

Freie Träger und Schulen ringen immer wieder darum, geeignete Angebote zu erstellen, und kämpfen nicht selten auch mit klischeehaften Erwartungen der Geldgeber und Teilnehmer, berichtet Anke Schwarzer. „Offenbar lassen sich die Workshops und Bildungsmaterialien nur in auseinandersetzungsreichen Reflexions-Prozessen so entwickeln, dass sie Stereotype vermeiden.“ Wenn der Lernbereich globales Lernen mehr sein solle, als schmückendes Lehrplan-Beiwerk, das letztlich mehr schadet als nutzt, dann müsse sich noch vieles ändern, betont auch Barbara Asbrand. Man benötige Investitionen in die Forschung, müsste den Schulen die nötigen Fortbildungsmöglichkeiten verschaffen. „Und das kostet Geld.“ Doch der Arbeitsbereich entwicklungspolitische Bildung des „Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ sei deutlich unterfinanziert. Hinzu kommt, dass Bildung Ländersache ist, und damit den Bemühungen des Bundes Grenzen gesetzt sind.

Ob der Auftrag der UN, die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung im Bildungssystemen zu verankern, so erfüllt werden kann, bezweifelt die Wissenschaftlerin: „Entwicklungspolitische Bildung hat bei uns eben noch nicht die Wichtigkeit, die sie haben müsste.“