: Seid ganz ihr selbst!
Die Hochschullandschaft wird zunehmend von Wettbewerb geprägt. Gerade „Kleine“ haben gute Chancen, sich dabei zu behaupten. Der Bologna-Prozess eröffnet Spielräume, maßgeschneiderte Lehrkonzepte zu entwickeln
VON LARS KLAASSEN
Wie gut sind die deutschen Hochschulen? Wo müssen sie besser werden, um sich künftig regional, national oder international behaupten zu können? Und haben die Kleinen im Wettbewerb mit den Großen überhaupt noch eine Chance? Auf diese Fragen haben im vergangenen Jahr jene Antworten gegeben, die es aus eigener Erfahrung wissen: die Studierenden. Und ihre Aussagen waren eindeutig.
Im Rahmen des Studienqualitätsmonitors 2007 befragten die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) und die AG Hochschulforschung der Universität Konstanz knapp 22.000 Studierende von 150 Hochschulen. Dabei schnitten die kleinen Fachhochschulen am besten ab, die großen Universitäten am schlechtesten. Auch die Gründe dafür werden klar benannt: Überfüllte Veranstaltungen beeinträchtigen die Arbeitsbedingungen. 50 Prozent der Studierenden an Universitäten beklagen sich über diesen Missstand, an den Fachhochschulen sind es 20 Prozent. Eine große Schwäche insbesondere der universitären Ausbildung ist die mangelnde Rückmeldung durch die Professoren: Nur 18 Prozent bewerten das allgemeine Feedback zu den Lernfortschritten mit „gut“. An den Fachhochschulen sind es 29 Prozent.
Fazit: Wer praxisorientierte Lehre bietet, kann selbst an Standorten mit vermeintlicher Randlage punkten. Und die oft belächelten „Kleinen“ sind dabei offensichtlich am besten. Das sind zumindest für all jene gute Nachrichten, die vom viel beschworenen Ideal der weithin sichtbaren, prominenten Eliteunis weit entfernt zu sein scheinen. Angesichts dieser Tatsache stellt sich die Frage, welchen Einfluss der Bologna-Prozess auf die kleinen Hochschulen hat. Aus einer Vorabzusammenfassung des aktuellen „Trends V“-Berichts, für den die European University Association 908 Institutionen aus allen am Bologna-Prozess beteiligten Ländern befragt hatte, geht hervor: 82 Prozent haben das neue Studienmodell eingeführt. Der europäische Hochschulraum hatte also bereits Gestalt angenommen, als der Studienqualitätsmonitor 2007 verfasst wurde.
Wie die neuen Freiräume unter Wettbewerbsbedingungen genutzt werden können, demonstriert die Hochschule Bremerhaven: Kennzeichnend für das Profil der „Hochschule am Meer“ sind unter anderem verschiedene Studiengänge, die explizit maritim ausgerichtet sind: etwa Schiffsbetriebstechnik, Maritime Technologien und der Bachelor-Studiengang Cruise Industry Management. 2006 wurde dieser Studiengang vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft als „Best Practice Reform Studiengang“ ausgezeichnet. Die Zahl der Studierenden steigt in Bremerhaven stark an. Während früher die Nähe zum Heimatort ausschlaggebend war, kommen nun auch viele Interessierte aus der Ferne – Qualität ist gefragt. Im Rahmen der Profilbildung ist auch die intensive Zusammenarbeit mit bedeutenden Forschungsinstitutionen von großer Bedeutung. So kooperiert die Hochschule mit dem Alfred-Wegener-Institut (Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung). Daraus resultiert beispielsweise die Einrichtung des gemeinsamen Virtuellen Instituts MarTech zur Entwicklung von meerestechnischen Analysemethoden.
„Auf den ersten Blick werden im Bologna-Prozess lediglich einige tausend Bachelor- und Masterstudiengänge mit heißer Nadel gestrickt“, sagt Dirk Baecker, der sich an der Zeppelin University in Friedrichshafen gesellschaftlicher Entwicklung, kultureller Diagnose sowie organisationalem Wandel in Industrie, Staat, Kirche, Kultur und Gesellschaft widmet. Bologna berge zwar das Risiko einer Etatisierung durch jene den politischen Willen interpretierenden privaten Agenturen, die die Studiengänge akkreditieren. Doch die Rahmen der Curricula und Module ließen auch Freiräume, die genutzt werden könnten.
Entscheidend ist dafür, welche Kapazitäten die Hochschulen der Lehre widmen. Der Wissenschaftsrat hat in seinen „Empfehlungen zur künftigen Rolle der Universitäten im Wissenschaftssystem“ dazu geäußert, den hohen Studierendenzahlen müsse in Zukunft durch zusätzliches Lehrpersonal und eine bessere Infrastruktur Rechnung getragen werden. Andernfalls würde die Leistungsfähigkeit der Universitäten in Lehre und Forschung empfindlich geschmälert und würden die wichtigsten Reformziele des Bologna-Prozesses unerreicht bleiben.
Ohne Erhöhung der Mittel geht nichts, doch geht es bei diesen Herausforderungen nicht nur ums Geld. „Bei der Festlegung von Ausbildungskapazitäten und der Hochschulzulassung muss Abschied von einem Leitbild genommen werden, nach dem Universitäten und ihre Studienangebote durch ein hohes Maß an Homogenität gekennzeichnet sein müssen“, betont Karin Donhauser, die an den Empfehlungen des Wissenschaftsrates mitgewirkt hat. „Andernfalls werden die Universitäten nicht ihre Profilbildung vorantreiben und exzellente Studienangebote entwickeln können.“ Mit einer funktionalen Differenzierung ist keineswegs eine Hierarchisierung der Hochschultypen gemeint: „Nicht Funktionen sind gut oder schlecht, sondern die Art und Weise, wie man seine Aufgabe erfüllt, ist es.“ Erfreulicherweise habe sich gerade im Bereich der staatlichen Hochschulen in den vergangenen Jahren sehr viel getan. „Da hat sich eine Dynamik entwickelt, von der zuvor niemand geträumt hat“, sagt Donhauser. „Es gibt mittlerweile eine Reihe von intelligenten Lösungen, die das Humboldt’sche Ideal in moderner Form neu beleben.“ Dabei hat sie beobachtet, dass es vor allem die mittelgroßen Hochschulen sind, die sich hier besonders schwertun. „Die ‚Kleinen‘ haben es da offenkundig leichter. Sie sind in der Regel schon jetzt stärker spezialisiert und können ihre Profile nun gezielt weiterentwickeln.“
Richard Münch, Professor für Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, sieht ebenfalls positive Beispiele: „Es gibt eine Reihe von Fachhochschulen, die sich behaupten, obwohl ihre Ausgangsbedingungen nicht optimal sind.“ An der problematischen Gesamtlage ändert das für ihn jedoch nicht allzu viel: „Da findet ein Verdrängungsprozess statt, der durch die Vergabe von Mitteln und das Abwerben guter Leute forciert wird.“ Profilierung ist vor diesem Hintergrund das beste Mittel. Wer Schwerpunkte setzt, sich auf seine Stärken konzentriert, muss an anderer Stelle aber auch abbauen. „Das geht zu Lasten der weniger starken Fächer, da geht Vielfalt verloren“, mahnt Münch. „Das lässt sich heute schon beobachten: Einige der Hochschulen, die in den Siebzigerjahren stark ausgebaut wurden, konzentrieren ihr Angebot wieder auf alte Kernbereiche.“
Die Konzentration aufs Wesentliche hält Friedrich Stratmann für eine geeignete Strategie. Der Leiter der Abteilung Hochschulentwicklung des HIS sieht gerade die kleinen Hochschulen gegen die Herausforderungen aktueller Hochschulpolitik gewappnet: „Sie sind nicht nur flexibel genug, sich ein scharfes Profil zu verleihen, sondern können im Bedarfsfall auch mit passenden Partnern kooperieren.“ Der Vorteil: Eine Kooperation kann aufgelöst werden, wenn die Umstände sich wandeln. Bei einer institutionellen Verschmelzung, einer „Fusion“, ist dies nicht mehr möglich.
Hochschulzusammenschlüsse sind zumeist vom Gedanken getragen, Größeneffekte für Forschung, Lehre und Administration positiv zu nutzen. „Das mag – wenn überhaupt – bei Natur- und Ingenieurwissenschaften der Fall sein, die eine umfangreiche und teure Infrastruktur als kritische Masse benötigen“, sagt Stratmann. „Aber bei Geistes- und Sozialwissenschaftlern sehe ich solche Vorteile nicht.“ Hinzu kommt: „Je größer die Einrichtung, desto größer ist auch der ‚Overbead‘, der organisationale Steuerungs- und Koordinierungsbedarf. In der Lehre gilt für alle Fächer: Viele Studierende brauchen entsprechend viele Dozenten. Die Masse hat sich hier nicht bewährt. Überrascht ist Stratmann, dass die Schaffung der Bachelor- und Masterstudiengänge nicht mit mehr Experimentierfreude genutzt wurde, sich ein eigenständiges Lehrprofil zu schaffen: „Die Möglichkeiten dazu bestehen ja.“
Die Fachhochschule Rosenheim nutzt solche Möglichkeiten. Sie führt gerade zur besseren Verzahnung von Theorie und Praxis in einem Studiengang ein neues Modell ein: Statt des herkömmlichen Semesterbetriebs mit einem Praxissemester wechseln sich je ein Vierteljahr Studium und Arbeit im Betrieb ab. Statt Semesterferien haben die Studierenden sechs Wochen Urlaub im Jahr. Ähnlich wie die „Berufsakademien“ in Baden-Württemberg steht hier der direkte Draht zu Wirtschaft im Vordergrund.
„Da die Universitäten ohnehin praxisnäher werden, sollten die Fachhochschulen gar nicht erst ihr Glück in der Wissenschaft suchen“, sagt Michael Steinbeis. Der Geschäftsführer der Steinbeis Holding GmbH in Brannenburg war acht Jahre lang Mitglied im Hochschulrat der FH Rosenheim. „Die Chancen liegen in der Berufsausbildung: Der akute Ingenieurmangel spricht da Bände.“ Verwurzelung in der Region ist die Basis für diesen Kurs. Nicht im akademischen „Elite“-Streben wird der Erfolg gesucht, sondern in der Weiterentwicklung der Dualen Ausbildung: „Ein neuer Studiengang für Installateure steht auf der Agenda“, berichtet Steinbeis. „Steigende Wärmekosten und neue Technologien schaffen in der Ausbildung neue Herausforderungen.“
Die FH in Rosenheim ist nur eines von vielen Beispielen, wie sich die deutsche Hochschullandschaft ausdifferenziert. „Der Gleichheitstraum ist ausgeträumt“, sagt Ann-Katrin Schröder, Programmleiterin für Hochschule und Wirtschaft im Stifterverband. Nicht obwohl, sondern gerade weil die einst klare Grenze zwischen Fachhochschulen und Universitäten verschwimmt, ist Eigenständigkeit angesagt. Der wachsenden strukturellen Konkurrenz muss mit individuellen Konzepten begegnet werden. Dieser Wandel, den der zunehmende Wettbewerbsdruck beschleunigt hat, befähigt die Hochschulen aber auch dazu, gesellschaftlichen Anforderungen besser gerecht zu werden, die ohnehin an sie gestellt werden: Wissenstransfer und Weiterbildung sind gefragt. „Ein genormtes akademisches System kann dies heute nicht mehr leisten“, konstatiert Schröder. „Markenbildung ist gefordert.“