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Archiv-Artikel

Das letzte Zuhause

Das Kinderhospiz Sternenbrücke nimmt Kinder auf, die unheilbar krank sind. Wenn eines stirbt, gehen die Eltern in den „Garten der Erinnerung“ und entzünden eine neue Kerze

STERNENBRÜCKE

Im Kinder-Hospiz Sternenbrücke arbeiten 39 MitarbeiterInnen, darunter 21 Kinderkrankenschwestern und -pfleger, drei Kinderärzte mit Schwerpunkt Schmerztherapie, Sozialpädagogen, Erzieher und Trauerbegleiter. Sie werden von ehrenamtlicher MitarbeiterInnen unterstützt. Künftig möchte sich das Hospiz verstärkt in der ambulanten Kinderpflege engagieren. Die Eltern seien häufig überfordert von den vielen Adressen, an die sie sich wenden müssen, sagt Geschäftsführer Peer Gent. Die Zahl der Kinderpflegekräfte in der Sternenbrücke soll deshalb aufgestockt werden.

Kinder-Hospiz Sternenbrücke, Sandmoorweg 62, 22559 Hamburg. ☎ 040 – 81 99 12 0, Mail: info@sternenbruecke.de

VON UTA GENSICHEN

Robert flitzt über den Flur des Kinderhospizes Sternenbrücke. Die modernisierte Villa hat insgesamt 50 Zimmer, Robert muss also lange laufen, um an sein Ziel zu kommen. Er rennt vorbei am Merkur-Zimmer und am Raum mit dem Namen Mars. Auch den im Innenhof liegenden Spielplatz lässt der Sechsjährige links liegen.

Kurz vor dem riesigen Aquarium jedoch macht er Halt, biegt links ab, öffnet eine Tür und dann noch eine weitere und steht plötzlich im Abschiedsraum. Sein Bruder Stefan starb vor wenigen Tagen und liegt nun im gekühlten Abschiedsbett, damit Verwandte und Freunde ein letztes Mal Zeit mit dem Jungen verbringen können. Stefan ist das 61. Kind, das verabschiedet wird, seit die Einrichtung im Jahr 2003 eröffnete.

„Wenn ein Kind stirbt“, sagt die Sprecherin des Hospizes, Tatjana Schrum, „dann ist das kein Alltag – es bewegt uns alle.“ Anders als in einem Erwachsenenhospiz sind Kinderhospize vor allem auf die Kurzzeitpflege spezialisiert. Eltern von unheilbar kranken Kindern können hier vier Wochen im Jahr Kraft tanken und die Pflege dem Personal überlassen. Acht solcher Institutionen gibt es in Deutschland, rund 22.000 Kinder sind „lebensverkürzend“ erkrankt und hätten Anspruch auf einen Platz im Hospiz.

„Die Eltern können hier mal verschnaufen“, sagt Schrum und erzählt von lange geplanten Friseurbesuchen, Wanderungen oder einfach nur Ruhephasen, für die im Alltag kein Platz ist. „Es tut gut, zu merken, dass man auch noch da ist“, sagt Anja B., die mit ihrer Familie bereits zum dritten Mal in der Sternenbrücke dem Alltag entflieht. Wie so viele der kleinen Gäste im Hamburger Kinderhospiz hat auch ihr sechsjähriger Sohn Henry eine unheilbare Stoffwechselkrankheit. „Er kann noch fühlen, hören und essen“, erzählt Martin B., sein Vater.

Die Sternenbrücke, im ruhigen Stadtteil Rissen gelegen, sei inzwischen so etwas wie ein zweites Zuhause für die aus Essen angereiste Familie. „Dieses Haus ist eine Schutzhülle – ich habe nicht gewusst, dass es so etwas gibt“, sagt die 40 Jahre alte Mutter. Und wirklich stellt sich schon beim Anblick des Anwesens ein Gefühl von Inselhaftigkeit ein. Da steht die weiß getünchte Villa inmitten eines weitläufigen Grüngeländes, an ein Waldstück angrenzend. Kein Straßenlärm ist von hier aus zu hören.

Klosterhafte Ruhe aber sucht man vergebens. Solange die Kinder noch können, spielen sie auf einem der beiden rollstuhlgerechten Spielplätze oder im Spielezimmer – zusammen mit ihren Geschwisterkindern. Um die wird sich im Kinderhospiz ebenfalls intensiv gekümmert. So ist der Kreativ-Raum nur für die mitgereisten Brüder und Schwestern da. Hier können sie malen, kneten und basteln. Im so genannten Regenbogen-Club werden die gesunden Geschwister in Gesprächen mit Sozialpädagogen auf den Tod vorbereitet. Anja B. erzählt, wie selbstverständlich sich ihre achtjährige Tochter von dem vor wenigen Tagen verstorbenen Jungen verabschiedet habe. „Leben und Sterben gehören hier eben zusammen“, sagt sie.

In der Praxis nimmt dieses im Kinderhospiz selbstverständliche Miteinander für Außenstehende mitunter bizarre Formen an. Stirbt ein Kind, wird der Kreativraum für das Bemalen des Sarges genutzt. So steht auch jetzt, zwischen Gesellschaftsspielen und Bastelkram, ein kleiner Holzsarg mitten im Raum. Jemand hat eine lachende Sonne darauf gemalt, ein anderer Blätter. „Ein Vater hat mal zu mir gesagt, dass das ja schließlich das letzte Zuhause seines Kindes sei – und das möchte er natürlich schön gestalten“, sagt Tatjana Schrum.

Lässt man den Kreativraum hinter sich und geht am Abschiedsraum vorbei, führt der Weg hinaus auf das Freigelände mit Terrasse, Spielplatz und Brunnen. Etwas abseits dieser grünen Oase wacht ein übergroßer Sandsteinengel über einen schneckenförmig angelegten Garten. Es ist der „Garten der Erinnerung“. „Wenn ein Kind sich auf den Weg macht, gehen wir zusammen mit den Eltern dorthin“, sagt Tatjana Schrum. Entlang des Pfades stehen bereits Dutzende Kerzen, jede geschützt durch einen pilzförmigen Bronzepanzer. Während der Zeremonie werden alle Kerzen angezündet und eine weitere bekommt ihren Platz. Dort können die Eltern jederzeit Fotos oder Kuscheltiere ablegen.

Die Sternenbrücke muss immer wieder Anfragen von Eltern ablehnen, deren Kinder über 18 Jahre alt sind. Die Sprecherin des Hospizes stimmt das nachdenklich, schließlich seien Erwachsenenhospize vor allem für die Lebensendphase konzipiert. „Außerdem gibt es dort keinen Platz für Angehörige“, sagt Schrum. Um erkrankte Kinder nicht mehr wegschicken zu müssen, die zu alt für die Sternenbrücke sind, aber noch viel zu jung für ein Erwachsenenhospiz, ist der Anbau eines Jugendhospizes geplant. In den kommenden Monaten soll so die Villa um drei weitere Zimmer für Jugendliche sowie für deren Eltern und Geschwister erweitert werden.

Namen der Kinder von der Redaktion geändert