: Unter Kakteentapeten
Tolle Treffpunkte: das nicht nur für tschechische Cowboys zu kühle „Arizona“ in Berlin
Arizona so nahe. Wer hätte das gedacht? Gleich hinter dem sehr großen und nicht so schönen Hotel in Berlin-Marzahn. Kein Vorwurf. So hat man halt gebaut damals – nicht nur in der Zone … Außerdem: Marzahn ist bekanntermaßen kein schöner Stadtteil. Plattenbauten und Nachfolger. Da mögen die Grünflächen noch so zierlich angesät sein und winzige Birkenalleen mit den dürren Ästchen winken.
Auch wenn das Marzahner Freizeitforum moderne Skulpturen hat, die ihresgleichen suchen: metallene Menschen, die sich ungesund verrenken. Und mit Veranstaltungsräumen lockt, die alle Pracht sozialistischer Farb- und Formgebung in sich vereinigen: vages Blühen und Nebeln von der Decke in Kühlblau und Zartrosa. Wer etwas über die sozialen Probleme Marzahns erfahren, wer verstehen will – muss sich das Freizeitforum ansehen. Kein Wunder, dass hier der Asoziale gedeiht.
Würde er doch seine Schritte stadteinwärts lenken, um nach einem Kilometer das Speiselokal „Arizona“ anzusteuern. Und dort seine Freizeit verbringen! Dies ist ein Ort, an den Asoziale gehören! Nicht etwa, um ihrer Asozialität zu frönen – nein! –, sie sollen dort von jener genesen.
Schon diese jeden willkommen heißende Leuchtreklame: „Arizona“! Dieses strahlende Rot! Dieses extrem blaue Blau. Wer immer in ihren – der Reklame – Bannkreis gerät, will um jeden Preis hinein. Glastür auf und: Schwingtür! Saloon. Unwillkürlich werden die Beine eine Idee krummer und die Hände schweben gefährlich über dem Peacemaker. Nur kurz. Denn gleich muss man sich ebenjene Hände reiben, es ist nämlich völlig unarizonisch kalt. Das ist aber nur eine Illusion, denkt man sich, man kommt schließlich aus der Kälte und gleich wird einem ganz heiß werden.
Da aber sind die eindeutig für die warmen Wüstennächte konzipierten Sitzmöbel vor. Mit praktischem Kunstleder verkleidet und angenehm kühl. Rot und blau. Wieder dieses Rot und dieses blaue Blau. Man denkt unwillkürlich an die tschechische Flagge und fragt sich, ob dieses Lokal wohl früher der beliebte Treffpunkt Prager Parteibonzen war und ein pfiffiger Manager nach der Wende flugs die schon vorhandene Farbgebung nutzte, um Böhmen in Arizona zu verwandeln.
Bierbank raus, Schwingtür und dunkel gebeizte Theke rein: fertig ist der Cowboy-Treff. Auch an der Speisekarte musste nur wenig gefeilt werden. Nun ist einfach alles mit Mais und „Steak“. Auch Kassler. Kassler-Steak. Gelungene Symbiose von Heimat und weiter, weiter Ferne. Man kann eine solche Ideologie bekritteln, aber wer Hunger hat, fragt nicht nach Ideologie, sondern wählt das Kassler. Was soll schon schiefgehen? Und einen schönen Rotwein. Der leider etwas korkt. Fast extrem korkt. Oder ist das das schiere Glykol? Wie man hört, nicht sehr gesund, aber gut gegen Frostbeulen und im Verein mit dem unter den vielen, vielen Beilagen aus der Büchse dampfenden Kassler-Steak ein prima Kälteschutz. Darum nicht lange klagen oder gar beschweren. Es ist heiß, und es füllt den Magen auf die vorbildlichste Weise.
So sieht es auch die Dame vom Service, die zum Schürzchen tatsächlich ein rot-blaues Hemd mit Fransen trägt. Kommt und nickt zufrieden und rafft abrupt den Teller an sich und hat es gleich gewusst: Ob es geschmeckt hat, braucht man ja nicht zu fragen.
Sie ist schon lange wieder weg, und man grübelt immer noch über eine der Situation angemessene Antwort. Und schweigt und träumt den zur Kakteentapete hinwehenden Atemfahnen nach. Und blickt besinnlich ins Rotweinglas, in dem sich die gleichfarbige Nase spiegelt.
ALBERT HEFELE