Demokratie in der Sackgasse

Das Kernproblem Israels ist die Diskriminierung der Palästinenser: Sobald einer Gruppe ihre Rechte verweigert werden, lässt sich der Diskurs der Ablehnung nicht mehr beenden

Israel kann sich aus der Umklammerung durch die Besatzung von innen nicht mehr befreien

Eine ganze Woche lang sahen die liberalen Gruppierungen Israels die Demokratie in akuter Gefahr: Der zentrale Wahlausschuss hatte entschieden, eine palästinensische Partei und zwei palästinensische Parlamentsabgeordnete von der Beteiligung an den Wahlen auszuschließen. Als dann in der Woche darauf der Oberste Gerichtshof ihre Beteiligung zuließ, hatte das einen Seufzer der Erleichterung zur Folge, als sei die Gefahr damit vorüber. Ich glaube, diese Erleichterung ist lediglich das Ergebnis einer allzu engen Definition von Demokratie.

Die israelische Demokratie ist in eine Sackgasse geraten. Sie kann politische Strategien und Ziele nicht mehr definieren, ohne die Rechte der einen oder anderen Seite einschneidend zu verletzen. Es hat sich ein Diskurs der Ablehnung herausgebildet, in dem jeder jeden ablehnt: Die Rechte lehnt die Linke ab, die Weltlichen lehnen die Orthodoxen ab – und jeweils umgekehrt. Nationale Einheit bedeutet die Ablehnung der palästinensischen Bürger Israels, „weltliche Einheit“ bedeutet zusätzlich die Ablehnung der Orthodoxen. Der antidemokratische politische Diskurs der heutigen Wahlen lässt sich in dem Spruch zusammenfassen: „Sage mir, wen du hasst, und ich sage dir, wen du wählst.“ Dieser Diskurs der Ablehnung prägt die Politik des Hasses auf der Grundlage der Negation des anderen. Ein solcher Diskurs, eine solche Politik des Hasses verwüstet alles. Diese Praxis ist nicht auf ein Lager beschränkt. Die Rechte lebt davon, die Araber zu hassen und die Linke abzulehnen, während die Linke die Siedler hasst und Scharon ablehnt. Um ihre Position als zentristische Partei der Mitte zu bewahren, lehnt Schinui die Orthodoxen ebenso ab wie die Araber und zeigt ihren Hass gegen die Ostjuden und dem Nahen Osten. Der Diskurs der Ablehnung ist antidemokratisch, weil er Raum weder für die Anerkennung des anderen noch für den Dialog mit ihm bietet; stattdessen ächtet er den anderen, ohne dass eine wirkliche politische Diskussion über gemeinsame Ziele und Möglichkeiten der Koexistenz zustande kommt. Deshalb ähnelt die Erklärung der Labor Party – dass sie sich an einer Regierung unter Scharon nicht beteiligen werde – weniger einer politischen Aussage als nur einer weiteren Ablehnung. Der Diskurs der Ablehnung behauptet immer: „Wir oder sie.“ Das heißt, es kann keine Koexistenz geben, keine Chance für einen Dialog. Der Diskurs der Ablehnung und die Politik des Hasses führen die israelische Demokratie in eine Sackgasse, weil es keine pragmatischen Diskussionen über die wahren und drängenden Probleme Israels in der politischen, ökonomischen und sozialen Sphäre gibt, weil keine stabile Koalition gebildet werden kann, um gemeinsam vereinbarte Ziele zu erreichen.

Jede mögliche Koalition nach den Wahlen wäre unvermeidlich gleichbedeutend mit dem Bruch entscheidender Wahlversprechen der drei wichtigen Parteien. Eine kleine Koalition der Rechten verstieße gegen Scharons Versprechen, eine gemäßigte nationale Regierung zu bilden und Bush auf seinem Kurs der Akzeptanz eines palästinensischen Staates zu folgen, und sei es auch nur als Lippenbekenntnis. Die Likud-Partei hat sich bereits gegen die Gründung eines palästinensischen Staates entschieden, obwohl sie anerkennt, dass Scharon, um sich in der öffentlichen Meinung Amerikas nicht zu diskreditieren, Bushs Pläne unterstützen muss.

Eine Regierung der nationalen Einheit, ähnlich der Regierung der beiden letzten Jahre, würde das Versprechen Labors brechen, die Besatzung zu beenden und sich nicht mehr an einer Regierung Scharons zu beteiligen. Eine weltliche Koalition, wie sie die neue „Zentrums“-Partei Schinui vertritt, würde sowohl das Versprechen der Labor-Partei, die Besatzung zu beenden, brechen wie auch das Versprechen des Likud, die Partnerschaft mit den orthodoxen Parteien in einer Koalition der nationalen Einheit aufrechtzuerhalten. Nach dem gegenwärtigen Stand gibt es keine andere Möglichkeit der Koalition, selbst wenn der rechte Flügel weniger als 50 Prozent der Parlamentssitze erzielt. Die Umfragen zeigen, dass diese Möglichkeit nicht völlig unrealistisch ist. Sicher an diesen Wahlen ist nur, dass keine Mitte-links-Koalition zustande kommen wird, die fähig wäre, die Besatzung zu beenden. Eine Regierung unter der Leitung der Labor Party mit Schinui, Meretz und den arabischen Parteien wird es nicht geben, selbst wenn sie möglich wäre – aufgrund des vorherrschenden antidemokratischen Diskurses der Ablehnung und der Politik des Hasses. Der Diskurs der Ablehnung vereinigt die Juden im Hass auf die Araber. Dieser Diskurs beruht auf einer einzigen Grundannahme: Niemand traut den arabischen Mitbürgern und ihren Parteien zu, die israelische Krise mit zu beenden. Jitzhak Rabin versuchte es und wurde ermordet. Der politische Mord trieb den Diskurs der Ablehnung und die Politik des Hasses auf die Spitze, auch wenn dieser Diskurs erst danach zur herrschenden Geisteshaltung wurde. Hier liegt das Kernproblem, das Israels Demokratie untergräbt und sie in die Sackgasse führt. Den Palästinensern in den besetzten Gebieten ihr Recht auf einen unabhängigen Staat oder ihre Gleichberechtigung als Bürger in Israel zu verweigern ist von Grund auf antidemokratisch und führt unvermeidlich zur Konfliktlösung mittels Gewalt. Von dort ist es nicht mehr weit, bis die palästinensischen Bürger Israels als Feinde gelten. Sobald einer Gruppe ihre Rechte verweigert werden, lässt sich der Diskurs der Ablehnung nicht mehr beenden: Der linke Flügel verliert seine Legitimation, weil er „ein Verbündeter der Araber“ ist; die „Linken und die Weltlichen“ gefährden den jüdischen Staat, sodass die orthodoxen Rabbiner zu seinem Hüter werden, während der rechte Flügel seine Macht erhält durch die Besatzung, den Krieg und die Politik des Hasses.

Die Wahlen von 2003 werden keines dieser grundlegenden Probleme lösen und sollten das auch nicht leisten. Sie sollten lediglich eine demokratische Fassade liefern für die undemokratische Fortführung der Besatzung, weil Israel aus der Umklammerung durch die Besatzung von innen nicht mehr befreit werden kann. Grenzkonflikte lassen sich nicht durch demokratische Mittel auf der einen Seite lösen, während auf der anderen die grundlegenden politischen, Bürger- und Menschenrechte verweigert werden. Grenzkonflikte werden gewöhnlich durch den Einsatz militärischer Gewalt oder internationale Intervention gelöst. Nur wenn die internationale Gemeinschaft aktiv eingreift, um einen wirksamen Plan zur Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates durchzusetzen, besitzt Israel eine Chance, der gegenwärtigen Sackgasse zu entkommen. Angesichts der derzeitigen militaristischen Einstellung von Präsident Bush gegenüber dem Nahen Osten scheint es, als könne nur Europa in Zusammenarbeit mit den gemäßigten arabischen Ländern einen solchen Plan voranbringen. Es ist Zeit, Israel von seinem zerstörerischen Weg abzubringen. LEV GRINBERG

Die Rechte lebt davon, Araber zu hassen und Linke abzulehnen – die Linke hasst Siedler und lehnt Scharon ab

Übersetzung: Meino Büning