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Archiv-Artikel

In die Krise rotiert

Mönchengladbach trennt sich von Trainer Jos Luhukay. Sportdirektor Christian Ziege übernimmt vorläufig und begibt sich auf Nachfolgersuche

AUS GLADBACH BERND MÜLLENDER

Anders als im geistigen Leben zu Rom wird bei kriselnden Fußballclubs erst auf schwarzen Rauch statt auf weißen gewartet: Wir haben keinen Trainer mehr. Denn erst muss der alte Trainer verbrannt sein, abgeschossen, beurlaubt, bevor ein neuer Heilsgarant verpflichtet ist. Am Samstag passierte in der Causa Borussia nach dem 1:2 gegen Köln noch nichts. Man wolle analysieren und sich beraten, sagte ein blasser Sportdirektor Christian Ziege dünnstimmig auf die Frage, was aus Trainer Jos Luhukay werde. Als er am Sonntag wiederauftauchte, war die Lage klar: Jos Luhukay ist entlassen.

Ziege übernimmt vorläufig: „Es wird keinen Schnellschuss geben, deshalb habe ich mich bereit erklärt, die Mannschaft vorübergehend zu trainieren“, so Ziege. Die Mechanismen der Branche wirkten: unhaltbar, der Mann, noch unhaltbarer als Novakovic’ gemeiner Freistoß zu Kölns Siegtreffer in vorletzter Minute. Eine unbestreitbar biedere und verkrampfte Borussia hatte ein giftiges Derby gegen den verhassten Rivalen verloren – der GAU aller Saisonergebnisse, daheim zudem zum ersten Mal seit 16 Jahren. Zum Scheiterhaufen geführt wurde der fachkundige und (zu?) freundliche Luhukay, 45, schon vorher. Haufenweise Gründe fürs Scheitern hatte sich, angeblich im Namen der Fans und des großen Ganzen, wie so oft die giftende Boulevardpresse ausgedacht, eine Branche, die stets nach Opfern giert und neue werdende Extrainer kommen sehen will. Die Vorwürfe: zu viele Niederlagen durch vorgebliche Taktikfehler, Aufstellungsirrtümer, Systemwechseleien. Und dann diese Rotation, das neue Reizwort im deutschen Fußball: Luhukay setzte auf der Suche nach der richtigen Mischung bislang 23 Spieler ein, Ligahöchstmarke. Das irritiere das sensible Personal und zerstöre Hierarchien, so der Vorwurf. „Der kleine Mann“, schrieb die Aachener Zeitung schon am Samstag mitfühlend, „wird von einer Lawine aus Kritik und Spekulationen begraben.“

In der Finalphase medialer Hinrichtung wurden wie stets prominente Anklagevertreter in Position gebracht – wie im Express Stefan Effenberg: Bei mir, tönte der Exborusse bigott, würden Marin, Neuville und Friend immer spielen. Eine Schande, wie feige Luhukay agiere. Ihm „blutet das Herz“, behauptete der Effe in „Effes Brandrede“. Der blonde Mann bewarb sich übrigens kürzlich um einen Job bei der Borussia – man sagte ihm ab.

Gleichzeitig hatte Senior Oliver Neuville, pikiert ob eines eigenen Bankdrückerspiels in Hamburg (0:1), taktisch herumgekrittelt: „Jetzt spielen wir zwar defensiver, kriegen aber mehr Tore.“ Neuville, 35 müde Jahre alt mittlerweile, war gegen Köln schwächster Borusse, in der zweiten Halbzeit ohne einen einzigen nennenswerten Ballkontakt. Zauberdribbler Marko Marin, soeben bei der Nationalmannschaft ausgeladen, hatte genau zwei gute Offensivszenen. Seine beste Tat war die Abwehr eines Kölner Schusses auf der eigenen Torlinie. Köln (61 Prozent Ballbesitz) war die quickere und besser besetzte Elf, voran der neu eingekaufte Defensivkönner Petit und vor allem Geromel als hellwacher Abwehrchef.

Jos Luhukay vermisste branchentypisch ein „Quäntchen Glück“ und betonte nachher tapfer (und in branchentypischer Aussicht auf Abfindung): „Ich kenne das Wort ‚aufgeben‘ nicht.“ Die meisten Spieler lobten ihn branchentypisch weiter, was so viel zählte wie ein Abstaubertor im Training. Und auch FC-Coach Christoph Daum gab gönnerhaft eine Art Nachruf („Ich wünsche Jos und der Borussia jetzt mit kühlem Kopf die richtige Entscheidung“), um sich später im kleinen Kreis dank der Siegesserie (zwei Dreier am Stück) als „ein bisschen euphorisch“ zu bekennen und sogar ungewollt zu reimen: „Ich denke dabei an Jos Luhukay.“ Branchengerüchte führen als Luhukays Nachfolger Borussias Jugendtrainer Sven Demandt und den Exschalker Mirko Slomka. Das Blatt Bild („Bye-bye Luhukay“) rechnet scheinwissend mit Oldie Hans Meyer. Oder glühten womöglich die Drähte nach München, wo die neu erfundenen Klinsmannbayern Spiel und Spiel vergeigen? Seit man am Samstag, kardiologisch sehr bedenklich, Uli Hoeneß leichenblass trotz roten Kopfes sehen musste, scheint alles möglich.

Schmeißt Hoeneß hin und kommt nach Gladbach, wo Sportdirektor Ziege ins Traineramt rotiert ist? Oder flüchtet gleich Jürgen Klinsmann auf die niederrheinische Trainerbank? Man muss sich immer nach oben orientieren, sagen sie bei der Borussia. Und da wäre für einen Ligaletzten sogar die Konkursmasse aus München eine Alternative.