Kommunistische Partei triumphiert in Graz

„Rote“ werden bei Gemeinderatswahlen drittstärkste Kraft und bestimmen jetzt über den künftigen Bürgermeister mit

WIEN taz ■ Graz ist anders. Und deswegen kann der strahlende Sieger der Gemeinderatswahlen vom Sonntag, ÖVP-Mann Siegfried Nagl, nicht unbedingt mit seiner Wahl zum Bürgermeister rechnen. Zwar konnte er seine Partei mit einem enormen Zuwachs von 13 Prozentpunkten vom dritten auf den ersten Platz (36,1 Prozent) katapultieren, doch steht sein Triumph im Schatten des sensationell starken Ernest Kaltenegger. Der Wohungsstadtrat konnte das Ergebnis seiner Kommunistischen Partei fast verdreifachen (von 7,9 auf 20,8) und machte die KPÖ knapp hinter den geschwächten Sozialdemokraten (25,1 statt 30,9)) zur drittstärksten Kraft in Österreichs zweitgrößter Stadt.

Gemeinsam mit den Grünen (8,3 Prozent statt bisher 5,6), die die FPÖ überholen konnten, ergibt sich also eine deutliche Mehrheit links der Mitte. Denn die FPÖ musste 18 Punkte abgeben und landete mit acht Prozent an letzter Stelle der im Stadtrat vertretenen Parteien.

Meinungsforscher erkennen in dem Ergebnis eine Bestätigung des Bundestrends von den Nationalratswahlen vor zwei Monaten. Mit dem markanten Unterschied, dass die KPÖ, die österreichweit gerade auf 0,56 Prozent kommt, in Graz über den künftigen Bürgermeister bestimmen kann. Dieser Erfolg ist – da sind sich alle Kommentatoren einig – der glaubwürdigen Arbeit von Ernest Kaltenegger zu verdanken. Er gründete vor Jahren einen Rechtshilfefonds für Opfer von Miethaien, sorgte für Rückzahlungen zu hoch angesetzter Mieten und verhinderte ungezählte Delogierungen.

Diese Arbeit wurde ihm vor fünf Jahren durch sprunghaften Stimmengewinn gelohnt. Die KPÖ zog nicht nur mit vier Abgeordneten in den Stadtrat ein, sondern bekam sogar einen Sitz im neunköpfigen Stadtsenat. Im Wohnungsressort, so soll man in den anderen Parteien gehofft haben, würde Kaltenegger durch die Mühlen der Bürokratie schnell entzaubert werden.

Das Gegenteil war der Fall. Als Stadtrat sorgte der KPÖ-Mann nicht nur für die längst fällige Sanierung von Gemeindebauten, er überweist auch den größten Teil seines Gehalts an Sozialfonds. Künftig wird es zwei KPÖ-Stadträte geben und im 56-köpfigen Stadtrat zwölf statt vier Abgeordnete. Die Frage der Bürgermeisterwahl habe man in der Partei noch nicht diskutiert. Doch werde man keinen Kandidaten unterstützen, der sich für die Privatisierung öffentlichen Eigentums einsetzt, so Kaltenegger zur taz.

Dass sein Zuwachs in erster Linie der Fahnenflucht ehemals freiheitlicher Wähler zu verdanken ist, stört ihn nicht. „Die Wähler der FPÖ sind ja keine Faschisten und auch keine Kommunisten. Es sind Menschen, die mit der herrschenden Politik nicht zufrieden waren oder sind.“

Für die Bundespolitik bedeutet das Grazer Ergebnis in erster Linie, dass eine Neuauflage der Koalition mit den Freiheitlichen wieder unwahrscheinlicher wird. Bundeskanzler Schüssel wollte sich gestern nach einer neuerlichen Sondierungsrunde mit der FPÖ noch immer auf keinen Partner festlegen. Heute und morgen stehen neue Gespräche mit Grünen und SPÖ auf dem Programm. Sollte sich mit keiner Partei eine ausreichende Basis ergeben, so fordern immer mehr Stimmen in der ÖVP, solle Schüssel eine Minderheitsregierung wagen.

RALF LEONHARD