Zwischen Ameisen und Dinosauriern

Die 7. Shanghai Biennale widmete sich dem Thema Migration – vieles blieb im Vagen. Auf der Korea International Art Fair beschäftigte vor allem eine Frage: welche Auswirkungen die Finanzkrise auf den Kunstmarkt haben wird

Der asiatische Kunstmarkt gilt als einer der interessantesten, weil am rasantesten wachsenden Bereiche des internationalen Kunsthandels

VON BRIGITTE WERNEBURG

Den Serial-Sammler scheint die Finanzmarktkrise nicht weiter zu tangieren. Während Wall Street in Ruinen fiel, verschaffte er Damien Hirst bei seiner Sotheby’s-Auktion einen Rekorderlös. Aber der Kunstmarkt kennt auch die Mühen der Ebene. Was gerne übersehen wird: Einen Großteil des Handels mit zeitgenössischer Kunst machen Arbeiten aus, deren Preis noch unter 10.000 Euro liegt.

Nur die Ambitionierteren unter den Käufern in diesem Marktsegment verstehen sich gleich als Sammler und tasten sich entsprechend auf Kunstmessen auch mal in die Nähe sechsstelliger Summen vor. Nicht unbedingt mit einem einzelnen Werk, häufiger erwerben sie mehrere Arbeiten, oft von ein und demselben Künstler oder ein und derselben Künstlerin – jedenfalls sofern sie ein koreanischer Kunstfreund sind. Der Wunsch, gleich einen Werkblock zu erwerben, ist eine seiner charakteristischen Eigenarten, wie auf der Korea International Art Fair (KIAF) allenthalben zu hören war.

Deshalb spricht der Manager der Messe, Areum Choi, auch nicht despektierlich von den „Ant Groups“, die er vermehrt in den Hallen beobachtet, neben den Museumskuratoren und den Art Consultants der großen Unternehmen, die ihre repräsentativen Firmensammlungen pflegen. Damit möglichst viele der 218 Galerien aus 20 Ländern, die dieses Jahr auf der KIAF vertreten waren, darunter 116 Galerien aus Korea, 27 aus Deutschland und 16 aus Japan, am Ende ein positives Fazit ziehen, braucht es diese fleißigen Käufer auf mittlerem Niveau.

Auf das allegorische Bild zu diesem Befund trifft man im zwei Flugstunden entfernten Schanghai, wo zurzeit die 7. Shanghai Biennale stattfindet.

Die fünf riesigen, bunt schillernden Ameisen aus rostfreiem Stahl im Außenraum des Kunstmuseums könnten die Großsammler und Galeriekonzerne darstellen, deren beeindruckende Figur zunächst den Blick auf ihre sehr viel kleineren Kollegen verstellt, die sich in unüberschaubarer Zahl die Efeuranken des Shanghai Art Museum hochhangeln. Doch sie, und nicht die Riesenameisen, werden den Kunstpalast stürmen, dessen ist man sich angesichts der Installation des 1963 in Xiamen geborenen Künstlers Chen Zhiguang sicher.

Von einem Sturm auf die Kunst war in den ersten Tagen der KIAF nichts zu spüren. Aber auch das gehört zum Bild der Seouler Kunstmesse. Zu dem gediegenen Tempo passt, dass Kunstnippes von Graden wie Chen Zhiguangs Ameisenarmee auf der KIAF nicht zu finden war. Er gäbe allerdings dem Eindruck, die erst seit 2002 existierende Messe sei die „Art Basel Asiens“, den richtigen Nachdruck.

Weil nun in der Woche, in der sie zum siebten Mal ihre Tore öffnete, die US-amerikanische Finanz- und Bankenkrise ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, avancierte die KIAF plötzlich, mehr noch als die enttäuschend verlaufene ShContemporary in Schanghai, zum Prüfstein der Stabilität des asiatischen Kunstmarkts. Bislang gilt er als einer der interessantesten, weil am rasantesten wachsenden Bereich des internationalen Kunsthandels. Aber gilt dies weiterhin? Diese Frage stellten sich auch die sieben Berliner Galerien – Deschler, DNA, Caprice Horn, Leo Coppi, Tammen, Gaulin & Partner, Zone B und Galerie Berlin –, die an der Messe teilnahmen.

An sich müsste der Zusammenbruch der Finanzwelt dem Kunstmarkt nicht schaden. Auch wenn in den letzten Wochen und Tagen sehr viel Geld vernichtet wurde, konnten gleichzeitig auch erkleckliche Summen gerettet werden, die nun nach einer guten Anlagemöglichkeit suchen. Kunst wäre eine naheliegende Option, nach dem Motto, „legen Sie Ihr Geld in Dada an! Dada ist die einzige Sparkasse, die in der Ewigkeit Zins zahlt“. Doch so dadaistisch war die Stimmung nicht, und die Berliner Galerien etwa verzeichneten zwar respektable Verkäufe, die aber den Umsatz des letzten Jahres nicht erreichten.

Damals war erstmals eine Galeriengruppe aus der Hauptstadt nach Seoul gereist, nachdem es dem Landesverband der Berliner Galerien gelungen war, den Senat dazu zu bewegen, sein Förderprogramm für mittelständische Unternehmen auch auf den Kunsthandel auszudehnen. Die Idee zahlte sich aus, nicht nur pekuniär, sondern auch kulturell. Im Rahmen des damals initiierten „Artist in Residence Programm Seoul-Berlin“ sind inzwischen fünf koreanische Künstler zu einem zweimonatigen Werkaufenthalt an der Spree eingetroffen.

Solche Kooperationen braucht es in einem Land, für das Krankenschwestern Koreas Import schlechthin darstellen, wo es doch in Wahrheit längst Künstlerinnen sind, wie der in Berlin lebende Shootingstar SEO. Die Meisterschülerin (Jahrgang 1977) von Georg Baselitz wird von Michael Schultz vertreten, der neben Peking auch in Seoul eine Dependance seiner Galerie betreibt. Auch Hyun-Sook Song (Jahrgang 1952), die in Hamburg lebt und arbeitet, gehört dazu. Sie kam Anfang der 70er-Jahre tatsächlich als Krankenschwester nach Deutschland, bevor sie sich an der Kunstakademie der Hansestadt einschrieb. In Korea wird sie durch die renommierte Galerie Hakgojae in Seoul vertreten, wo sie momentan auch eine Einzelausstellung hat. Songs methodisch auf die Malerei selbstreflektierende Gemälde tragen Titel wie „2 Pinselstriche“ oder „8 Pinselstriche über 1 Pinselstrich“. Sie stellen eine eigenwillige Fusion von konzeptuellem Ansatz, Abstraktion und gegenständlicher Kunst dar.

Warum Hyun-Sook Song nicht auf der ausdrücklich „Korean Mid-Career Artists“ gewidmeten KIAF-Sonderschau „A Moonlit Garden“ vertreten war, verwundert. Hätte sie den exklusiven zehnköpfigen Männerreigen gestört? Wo Lee Ken-Shu, der Kurator der Schau, doch den mondbeschienenen Garten, wie er erläuterte, gegen die westliche Feier der Sonne und damit verbunden des „Heldentums und des männlichen Chauvinismus“ in Stellung bringen wollte?

Vielleicht sind Chen Zhiguangs Ant groups allegorisch anders zu deuten? Und die Riesenameisen verkörpern die Außenseiter? Die Künstlerinnen, die nichts gegen das Heer der männlichen Kleinameisen ausrichten können, die das Kunstfeld besetzt halten? Einer der stärksten Auftritte in Schanghai, Yin Xiuzhens „Flying Machine“, wird jedenfalls in den Besprechungen der Biennale nie erwähnt. Die Künstlerin, die im Sommer in Chemnitz mit ihrer Textilrecyling-Performance auffiel, hat ein Metallflugzeug gebaut, dessen Mittelteil aus zusammengenähten weißen Textilen wie Unterwäsche und T-Shirts besteht. Auf der einen Seite saugt der Stoffbeutel einen Kleintraktor ein, auf der anderen Seite scheint er einen VW-Santana als das gebräuchlichste Auto auf Chinas Straßen auszuspucken. Mit ihrer Maschinenschimäre, in der sich die Fortbewegungsmittel der chinesischen Land- und Stadtbevölkerung kreuzen, bezieht sich Yin Xiuzhen auf formal überzeugende Weise auf das Biennale-Thema Migration, das wiederum die Wortschimäre „TransLocalMotion“ transportieren soll.

Kongenial ergänzt Ayse Erkmen mit ihrem lässigen Videoclip „Singopore, Istanbul, Dubai–SHANGHAI“ die raumgreifende und doch lakonische Installation ihrer Künstlerkollegin. Während eines Langstreckenflugs filmte Erkmen einfach das Fernsehprogramm ab, das auf dem Monitor vor ihrem Sitzplatz lief. Es kam aus Schanghai und berichtete von der lokalen Skaterszene.

Dass die inszenatorischen Ausstellungslinien abbrechen, im Vagen versickern oder erst gar nicht deutlich werden, erlebt man häufiger während des Rundgangs. So findet sich in der Sektion „Context“ im dritten Stock des Museums mit den Arbeiten des chinesischen Künstlers Jin Shi, der Schweizerin Ursula Biemann und des deutschen Videokünstlers Clemens von Wedemeyer zwar der Vergleich zwischen unterschiedlichen künstlerischen Herangehensweisen an unterschiedliche Migrationsschicksale. Damit er aber wirklich aufschlussreich würde, ist die Position mit Wedemeyer zu schwach besetzt. Man fragt sich nämlich, warum er eine Kamera braucht, wo er sie doch eh nicht gebraucht. Denn wie so oft schaut er mit ihr auch bei „Otjesd“ (2005) nur auf eine Guckkastenbühne, auf der seine Protagonisten links auf- und rechts abtreten. Dass der nachgestellte klandestine Grenzübertritt am ehemaligen Eisernen Vorhang damit nur unfreiwillig Züge eines Kasperltheaters annimmt, ist das Problem. Denn eine – von den Beteiligten ganz bewusst ausgespielte – Theatralik durchzieht durchaus die schwierige Situation der Migration, wie Ursula Biemanns mehrteilige Videodokumentation „Sahara Chronicles“ belegt. Und auch die 50 Prozent, um die Jin Shi seine Rekonstruktion der provisorischen Unterkunft eines chinesischen Wanderarbeiters verkleinert, bedingen ein Moment des Lächerlichen und der Putzigen, das dem Thema gegenüber inadäquat erscheint – und gerade deshalb die Arbeit zum radikalen Statement macht.

Merkwürdig symbolisch neben der Toilette im Erdgeschoss versteckt ist Zhou Tao mit seinem kompromisslosen Video „1,2,3,4“, in dem er genauso unerbittlich die pseudomilitärischen Morgenexerzitien filmt, wie sie die unterschiedlichen, um den People Square angesiedelten Angestelltengruppen unerbittlich durchziehen. Während man noch verblüfft staunt, geht einem der Gedanke durch den Kopf, ob womöglich auch das Kuratorentrio seine je eigenen Exerzitien so unerbittlich durchzog? Mit dem Vizedirektor des Shanghai Art Museum, Zhang Qing, mit dem künstlerischen Leiter des K21 Düsseldorf, Julian Heynen, und mit dem Dekan der Akademie in Utrecht, Henk Slager, ist es wie inzwischen üblich aus internationalen und lokalen Experten zusammengesetzt. Dass es sich auf mehr verständigt hätte als auf den großen Rahmen und seine Rubriken „Project“, „Keynote“ und „Context“, diesen Eindruck hat man nicht.

Die 25 Künstler, die unter dem Stichwort „Project“ eingeladen wurden, den nahe gelegenen People’s Square als visuelle Metapher und Ausgangspunkt ihrer Arbeiten zu nehmen, folgten dem Angebot nur sehr bedingt. Der viele Platz im zweiten Stock des Museums, der Yue Minjun, Mike Kelley, Lonnie van Brummelen und Siebre van Hahn für ihre „Keynote“ eingeräumt wurde, nutzt Yue Minjun, um eine gewaltige Horde bunter Dinosaurier aufmarschieren zu lassen, denen er sein berühmtes 64-zähniges Grinsegesicht auf langen Hals gesetzt hat. Von diesem Schlag konnte man sich dann in Siebre van Hahns Disco-Lounge erholen. Die wirkliche Keynote lieferten eben die Ameisen, die nicht unbedingt gute Kunst, aber in jedem Fall eine gute Metapher waren. Ob sie für die Migranten standen, die sich in der Fremde durchboxen und hocharbeiten, wie von Chen Zhiguang gedacht, oder ob man in ihnen die Kunstmarktanfänger sah, wie Seoul nahe legte – mit ihnen wird man rechnen müssen.

Bis 16. November, Shanghai Art Museum, Schanghai, Katalog 320 Yüan (32 €)