Griechischer Schein

Gleißende Textmauern, prekäre Gesten, neue Romantik: Stefan Pucher inszeniert am Schauspielhaus Zürich das älteste Drama der Welt, „Die Perser“ von Aischylos

Leiden und Lernen: „Die Perser“ handeln zwar vom Feind, doch der Schrecken soll die Griechen selbst erfassen. Das älteste vollständig überlieferte Drama der Welt (472 v. Chr.) ist eine Warnung an das eigene Publikum. Werdet nicht übermütig, sagt Aischylos sinngemäß. Hört nicht immer nur auf die Berater wie der Perserkönig Xerxes, der sich zum megalomanen Feldzug drängen ließ. Wachst nicht zu schnell. Den Angreifer hat man vielleicht geschlagen, doch die Hybris lebt.

Stefan Pucher nimmt diese Angst-Spiegelung im Schauspielhaus Zürich bildlich ernst. Die Bühne von Barbara Ehnes ist ein plakativer Innenraum der Macht. Den Stern am Boden sowie den Pfauenthron gibt es auch in Saddam Husseins Präsidentenpalast, die Wände schmücken Muster, die man wohl persisch nennt. Doch das Blau, die Ecken im Rund und das Adlerwappen erinnern an das Weiße Haus in Washington. So sieht es aus, wenn man zuschaut, wie sich der Westen den Orient vorstellt. Disney Middle East.

Man mag nun „platt“ und „plump“ rufen. Allein: Einfach ist diese Architektur des Imaginären gerade nicht, auch wenn darin die Assoziation „USA“ vorkommt. Im Gegenteil, die Perspektive ist so schön unrein, wie sie es vor zweieinhalbtausend Jahren war, als der Grieche Aischylos der persischen Monarchie einen demokratischen Chor zur Seite stellte.

Jean-Pierre Cornu ist der Chor des Ältestenrates. Er sieht aus wie ein pietistischer Pensionär aus den Sechzigern. Korrekt, autoritär, ängstlich. Ein anständiger Kriegstreiber, dem dann doch mulmig wird, als Xerxes noch nicht aus Griechenland zurückgekehrt ist. Legt man uns Lyndon B. Johnson nahe, Kennedys Nachfolger und Vietnam-Verstärker? Amerikanische Präsidenten sprechen in der Regel nicht ganz so gut. So hart gestanzt. So elegant gesetzt. Manchmal auch so getragen, wenn der mikrofonierten Stimme Hall beigemischt wird.

Noch nie hat Pucher die Systeme so klar getrennt. Das Bild. Die Sprache. Die Songs. Der Traum der Avantgarde, die Ebenen zu zersägen, statt sie zu verschrauben, trifft hier auf eine durchgearbeitete Diktion. Cornu kann das hier. Er muss: „Die Perser“, übersetzt von Durs Grünbein, sind eine gleißende Textmauer. Hier ist alles Ahnung, Bericht, Genealogie, Erscheinung, Klage. Alles Wort. Die Bilder auf der Bühne wirken wie losgelöst: Im zeichenhaften Raum schimmern Meika Dresenkamps Videos schwarzweiß – Adler, Kriegsschauplätze, Palastruinen.

Und wenn die Körper sprechen, bewegen sie sich kaum. Catrin Striebeck sitzt als Königsmutter Atossa auf dem Thron wie eine Miss Iran unter dem Schah. Diese Schönheitskönigin, geplagt von Vorsehungen, ist eine Freundin des Klartextes: „Jetzt erwarte ich Ideen!“ Doch in der Diktatur traut sich niemand, die Allegorie „Falke stürzt auf Adler“ zu deuten. Wer nicht lesen kann, muss fühlen: Der heimkehrende Bote von Daniel Lommatzsch interpretiert dann gründlich. Anmaßend auf dem Thron berichtet er von den Niederlagen. „So schneidend und frisch“, kommentiert der Chor.

In Zeiten der Not sollte man die Toten um Rat fragen. Atossa ruft ihren Gatten Dareios aus der Unterwelt herauf, der vor zehn Jahren bereits gegen die Griechen losgezogen war. Die starke Frau sinkt auf die Knie, rudert mit den Armen und singt eine dunkle Elektro-Version des Reggae-Klassikers „You don’t love me (No, No, No)“ (Musik: Arvild Baud). Das ist peinlich, weil unironisch. Doch es ist halt eine Arie der Verzweiflung, und da dürfen die Gesten prekär sein. Souveränität wäre lächerlicher.

Der König Dareios von Robert Hunger-Bühler, und das ist vielleicht der Kern von Puchers Tragödiensicht, weiß auch nichts Neues. In Pantoffeln steht er an der Bühnenrampe und wiederholt betulich seine Ahnenreihe. Eine Abfolge der Gewalt. Sein Sohn erscheint somit als bloße Kontinuität des Gleichen. Dann verschwindet er nach hinten und staubt seine Raketenbilder ab. Atomraketen, Schreck- und Trugbild des Westens.

Pucher outet sich definitiv als New Romantic, als der gut gebaute Oliver Masucci als Xerxes auftritt. Glatzenperücke, eine Goldschicht auf dem Männerbusen, darüber ein abgefuckter Generalsrock. Was für eine schöne Kaputtheit. Eine Mischung aus Mad Max, Wave-Disco und Gustaf Gründgens. Wirklich schneidig. „Schreit, wie ich schrie“. Ganz leise. TOBI MÜLLER