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Archiv-Artikel

Geister, Jesus-Freaks, fertige Typen

Der märchenhafte Figurenbestand von Mary Timonys Sound-Universum hat sich nicht geändert, die Direktheit der Lyrics dagegen schon: „The Golden Dove“ heißt die Scheibe, die die interviewscheue Musikerin heute im Molotow präsentiert

Tanzende Ameisen, singende Pfauen: Mary Timony liebt Symbole – vor allem, wenn es Tiere sind

von BARBARA SCHULZ

„Ms. Timony, du bist so eine merkwürdige und wundervolle Kreatur. Bitte, bitte, entdecke auch weiterhin seltsame, magische, musikalische Landschaften“, heißt es in einer (selbstredend von einem männlichen Kritiker verfassten) speichelleckerisch-schwärmerischen Plattenkritik über Mary Timony, deren aktuelles zweites Solo-Werk Frau Timony am Montag Abend glücklicherweise auch in unsere Stadt befördert.

The Golden Dove, so heißt das gute Stück, klingt – anders als ihr Solo-Debut Mountains, welches unter Mitarbeit von John McEntire (Drummer von Tortoise, Produzent und Herr über 1000 andere Projekte) und Ash Bowie (Polvo, Helium und Timonys Ex-Freund) entstand – wesentlich mehr nach Timonys früherer Band Helium, deren zwei Platten The Dirt of Luck und Magic City ob ihrer einfallsreichen, spinnerten Sci-Fi-Rock-Electro-Songs (gut, wirklich!) in jedem Indierock-LiebhaberInnen-Plattenschrank stehen sollten.

„The Golden Dove steht für eine geliebte Person, die gegangen ist“, erzählte Timony in einem ihrer spärlich gesäten Interviews, und um genau dieses Thema drehen sich auch einige der Songs: die Depression, die einen befällt, wenn man verlassen wird, der Weg da raus, die Wut, schließlich, hoffentlich, die Erlösung. Stellenweise sind die Lyrics so erstaunlich direkt verfasst, wie man es von der als schüchtern geltenden Frau Timony so gar nicht gewohnt ist. Man muss glatt an Liz Phair denken (wo ist die eigentlich abgeblieben?), wenn sie in dem großartigen, in Zukunft wohl auf sämtlichen Beste-Freunde-Mix-Kassetten auftauchenden „Blood Tree“ angenehm unaufgeregt über den spackigen Boyfriend singt, der ihr Nacktfotos seiner Ex-Freundin zeigt und den sie daraufhin stante pede in die Wüste schickt.

Aber natürlich gibt es in der metaphernverliebten Timony-Welt nach wie vor jede Menge Märchengestalten, Geister, komische Jesus-Freaks oder fertige Typen. Und auch Tiere kommen wieder vor: tanzende Ameisen, in die Luft ragende Schlangen oder singende Pfauen. „Ich mag Symbole einfach. Ein Pfau symbolisiert einen Boyfriend, ein Fluss steht für Depression, und ein Tiger bedeutet Stärke“, erklärt Mary Timony dazu, deren Plattenfirma ihr auch gern mal den (komischen) Stempel aufdrückt, sie sei eine „Kreuzung aus Franz Kafka und Charles Manson“, was Timony selbst überhaupt nicht verstehen kann: Sie lässt sogar dem traurigsten Song auf der neuen Platte, „Dryad and the Mule“, noch – möglicherweise augenzwinkernd – ein paar Phil-Spectorsche Handclaps angedeihen. Und das ist nun wirklich mal was ganz Neues bei „Ms. Charming Melody“ Timony, denn ihre wie gewohnt skelettartigen Gitarrenläufe und unüberhörbaren Prog-Rock-Vorlieben bekommen plötzlich wohlige Mitsing-Refrains zur Seite gestellt, die das Timony‘sche Universum wärmer und voller wirken lassen als je zuvor. Mag sein, dass das auch mit den MitmusikerInnen zu tun hat, die neben Timony, die Gitarre, Violine und Klavier spielt, wirken, wie beispielsweise Karate-Mann Jeff Goddard am Bass, Amy Dominques am Cello und die Gastmusiker und Produzenten, Mark Linkous und Al Weatherhead, beide von Sparklehorse.

Wen sie wohl von den Gästen auf der Platte am Montagabend ins Molotow mitbringt? Hoffentlich wird wieder ihre Freundin dabei sein, die Schlagzeugerin Christina Files, mit der Mary Timony vor ein paar Jahren schon mal so wundervoll im Logo gespielt hat, damals noch im Vorprogramm von Sleater Kinney. Zuletzt war sie mit Sonic Youth unterwegs. Ein schöner Abend wird es auf jeden Fall werden, und noch schöner vielleicht, wenn die vielen männlichen Timony-Fans, die anhimmelnderweise in den ersten Reihen stehen, nicht nur wie festbetoniert stieren, sondern auch mal ein bisschen aus der Hüfte kommen. Wir werden sehen.

Montag, 21 Uhr, Molotow