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Archiv-Artikel

Vernünftige Feierschweine

„Bei einem guten Programm kommen die Leute auch“: Trotz sinkender Besucherzahlen wehren sich Clubbetreiber wie Cookies, Ben De Biel vom Maria oder Sandrina Koemm vom Sage gegen eine übermäßige Krisenstimmung. Ein Streifzug durch die Berliner Clublandschaft in Zeiten der Wirtschaftskrise

In einer Krise einfach „egal“ zu sagen und euphorisch zu feiern, ist nicht deutsch

von TILMAN BAUMGÄRTEL

„Eine wirkliche Wirtschaftskrise gibt es in Deutschland noch gar nicht. Wenn man die Situation in Deutschland mit der in Großbritannien oder den USA vergleicht, geht es uns hier noch wirklich gut.“ Das will Cookie, der Besitzer des gleichnamiges Clubs in Mitte, gleich zu Anfang des Gesprächs klarstellen. Trotzdem war das Cookies in den letzten Monaten deutlich schlechter besucht als noch vor einem Jahr. Auch in Traditionsläden wie das WMF oder den Tresor kommen zurzeit deutlich weniger Gäste als Ende der Neunzigerjahre, und eine Reihe von Clubs hat im vergangenen Monat sogar gleich ganz geschlossen: dem Ostgut mitsamt der Panorama-Bar in Friedrichshain wurde der Mietvertrag gekündigt, weil dort demnächst die Arbeiten an einer großen Sporthalle beginnen sollen. Und eine Reihe von halb- bis ganz illegalen Clubs haben im Januar ebenfalls bis auf weiteres zugemacht, so zum Beispiel das Helsinki, das Fun und die WBM-Bar. Auch in Clubland, Berlin, herrscht – wie im Rest der Republik – Krisenstimmung.

„Anders als früher werden die Läden heute nicht einfach nur zugemacht, sondern bekommen zum Teil auch heftige Geldstrafen aufgebrummt“, sagt Ben De Biel vom Maria am Ufer. Das erhöhe das Risiko, einen illegalen Club zu betreiben. Gerade die Läden ohne behördliche Genehmigung, die nicht in den einschlägigen Stadtzeitschriften stehen und nur durch Mundpropaganda bekannt werden, waren aber seit Anfang der Neunzigerjahre die Motoren des Berliner Nachtlebens. Als nach dem Fall der Mauer in Ostberlin jede Menge leer stehende Gebäude für einmalige Techno-Partys oder einen temporären Clubbetrieb zu finden waren, entwickelte sich in der Hauptstadt eine Partykultur, die in Deutschland einmalig war und in der ganzen Welt Beachtung fand.

Dass nach über zehn Jahren Tanz- und Clubkultur die Party nun langsam ihrem Ende entgegengeht, glaubt De Biel allerdings nicht: „Wenn man ein gutes Programm macht, kommen die Leute auch.“ Auch heute gäbe es in der Stadt noch genügend Orte, in denen man für eine bestimmte Zeit einen illegalen Club aufmachen kann. „Kleine Läden für hundert Leute fallen auch gar nicht so auf. Aber damit lässt sich halt auch nur wenig Geld verdienen.“ Wer aber einen legalen Club aufmachen will, muss sich durch den Berliner Ämterdschungel kämpfen und peinlich genau Brandschutz-, Arbeitsschutz- und andere Auflagen erfüllen. Da lohnt sich oft nicht die Investition in einen Laden, der nur für eine kurze Periode geöffnet ist. Gleichzeitig würden die kleinen, illegalen Clubs die großen legalen Betriebe aber auch Publikum kosten.

Auch für die gut eingeführten Diskotheken, die die Behördengänge bereits hinter sich haben, sieht es gegenwärtig nicht gut aus. Beim WMF verweigert man darum schmallippig gleich jeden Kommentar zur wirtschaftlichen Lage. Andere Clubbesitzer sind etwas offener: Auf „etwa 30 Prozent“ schätzt Cookie den Besucherrückgang in seinem eigenen Laden. Und in anderen Clubs sieht es ähnlich aus. „Viele haben ihre Jobs verloren, und die, die noch Arbeit haben, sind vorsichtig geworden und sparen ihr Geld lieber“, sagt Cookie. „Vor zwei, drei Jahren konntest du morgens mal verpeilt in deine Agentur kommen und niemand nahm dir das übel. Wenn du heute dreimal betrunken zur Arbeit gehst, kann es sein, dass du sie danach los bist, weil jetzt hundertprozentiger Einsatz gefordert wird.“

Und gerade die Studenten, die früher ihr Geld aus Teilzeitjobs im Cookies ausgaben, sind sparsam geworden, weil es nicht mehr so viele lukrative Stellen gibt. Aber: „Die Stammgäste, die Leute, die wirklich feiern wollen, kommen trotzdem“, sagt Cookie. Gleichzeitig hat er festgestellt, „dass viele Leute inzwischen bereit sind, für weniger Geld zu arbeiten“. Ein Anrufer, der sich als Türsteher anbot, wollte sogar für die Hälfte des normalen Gehalts arbeiten – obwohl er gar nicht wusste, wie viel das Cookies seinen Türstehern überhaupt zahlt. Auch Ben De Biel vom Maria sagt: „Ich hatte noch nie so viele Jobanfragen wie in den letzten Monaten. Die Leute rufen einfach an und fragen nach Arbeit und melden sich zum Teil auch immer wieder.“

Auch die Einführung des Euro hat spürbare Auswirkungen auf das Nachtleben gehabt: „Die Leute nehmen alle Preise jetzt einfach mal zwei. Dadurch wirkt vieles einfach teurer, auch wenn es das in Wirklichkeit gar nicht ist“, behauptet Sandrine Koemm vom Sage. Ihrem Laden gehe es allerdings nicht so schlecht wie vielen anderen Berliner Clubs: „Jeder Club braucht Neuerungen. Wir versuchen, den Leuten mehr zu bieten, und machen verstärkt Promotion. Außerdem investieren wir in die Dekoration und das Ambiente“, sagt sie. Auch mit Partys zu Produkteinführungen und anderen Events versucht der Sage Club, seine Umsätze zu steigern.

Wer kommt, der verzehrt allerdings nicht mehr so viel wie früher – das gilt für alle Clubs. „Die Leute trinken weniger“, sagt Sandrine Koemm. „Es wird zwar immer noch viel getanzt, aber es gibt auch wieder ein stärkeres Gruppengefühl. Viele kommen zu dritt oder zu viert. Und die Leute nehmen sich wieder mehr Zeit, um miteinander zu sprechen.“

Ein Türsteher bot sogar an, für die Hälfte des normalen Gehalts zu arbeiten

In der Vergangenheit waren es gerade oft die wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in denen das Nachtleben aufblühte und sich zum Teil richtiggehende Tanzbewegungen entwickelten. Die krisenhaften Zwanzigerjahre sind dafür berühmt geworden: Das war die Hochzeit von Charleston, Tango, Schieber, Foxtrott und unzähligen Modetänzen. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatten erst Boogie Woogie, dann Rock ’n’ Roll Konjunktur. Das durch Techno und House ausgelöste Tanzfieber der letzten Jahre verhielt sich damit verglichen dagegen antizyklisch: die Neunzigerjahre waren nach dem Fall der Mauer und der deutschen Wiedervereinigung zwar eine Zeit der Umbrüche, aber keine der totalen wirtschaftlichen Misere. Steigende Arbeitslosenzahlen und das deutschlandweite Gejammer über die ökonomische Lage in der Gegenwart haben aber bisher noch nicht zu einem neuen Boom des Nachtlebens geführt.

„Dazu geht es den Leuten noch nicht schlecht genug“, glaubt Cookie. „In einer Krise einfach ‚egal’ zu sagen und euphorisch zu feiern, ist auch gar nicht deutsch. Dazu sind die Leute hier viel zu vernünftig.“ Die Konsequenz für seinen Club: „Früher sind die Leute um eins gekommen und um sieben gegangen; heute kommen sie um zwei und gehen um vier.“

In einigen Nächten des vergangenen Jahrs habe das Cookies darum schon minus gemacht, in anderen gerade eine schwarze Null geschrieben. Nachdem der Mietvertrag für den Club gerade auf unbestimmte Zeit verlängert worden ist, betreibt Cookie seinen Laden aber weiter wie bisher. Er glaubt: „Die ersten wirtschaftlichen Ängste sind inzwischen überstanden, und die Leute fangen langsam wieder an, in Clubs und Restaurants zu gehen.“

Wenn die Krise kein Ende nehmen will, kennen Gastronomen noch ein probates Mittel, um den Umsatz in einer Diskothek zu steigern: Heizung aufdrehen, Lüftung ausschalten, und die Wasserhähne in den Toiletten zumachen. Bei einer Temperatur um die 29 Grad, die kürzlich eine findige B.Z.-Reporterin auf der Tanzfläche eines Berliner Clubs gemessen hat, dürfte das Publikum dann schnell Durst bekommen. So schlecht, dass sie auf solch hinterlistige Methoden zurückgreifen müssen, geht es den Berliner Clubs und Diskotheken zum Glück aber doch noch nicht.