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Archiv-Artikel

kinder, wollt ihr ewig leben? von EUGEN EGNER

Ich wohne in einer so genannten besseren, also teuren Gegend. Abgesehen davon, dass die Leute hier wesentlich mehr Geld haben als beispielsweise da, wo ich vorher gewohnt habe, ist es im Übrigen eher wie an einem sozialen Brennpunkt: unzählige Kinder und Hunde geben niemals Ruhe.

Die Kinder sollen repressionsfrei aufwachsen und randalieren daher von morgens bis Mitternacht im Freien, die Hunde bellen vierundzwanzig Stunden lang mit geringfügigen Pausen für die Nahrungsaufnahme. Und es muss einfach jede Familie mindestens einen Hund haben. Ein solcher ist aber bekanntlich nur so gut wie die Erziehung, die ihm seine Halter angedeihen lassen.

Das Erste, was mir nach dem Umzug in das so genannte bessere Viertel auffiel, war, dass es hier nicht nur viel mehr kreischende Kinder, sondern auch ungleich mehr bellende Hunde gibt. Ich hatte viele Jahre in einer Gegend verbracht, die von einem wahnsinnigen Rauhaardackel dominiert wurde, und hatte das bereits für eine Zumutung gehalten. Wie ich nun aber feststellen musste, war ich genau zwischen drei penetranten Dauerbellern gelandet, die miteinander durch meine Wohnung hindurch kommunizierten.

Der schlimmste von ihnen tobte sich rund um die Uhr mit der Lautstärke explodierender Granaten direkt im angrenzenden Garten aus, sodass es klang, als wäre er bei mir im Zimmer. Bevor mein Verstand ernsthaft Schaden nahm, sah ich mich gezwungen, etwas zu unternehmen. Ich rief den Hundebesitzer an. Der aber stritt alles ab: „Nein, davon weiß ich nichts. Manchmal steht der Wind ungünstig, dann hört man schon mal die Autobahn. Da kann ich Ihnen leider nicht helfen.“

Also war es an mir, zur Selbsthilfe zu greifen. Ein Bekannter bot sich an, den Hund für mich zu erschießen, wenn ich das dafür notwendige Gewehr besorgte. Es seien, belehrte er mich, lediglich Anzeigen wegen Sachbeschädigung und Abfeuerns einer Schusswaffe in einem Wohngebiet zu erwarten. Doch dafür sei ich die brüllende Bestie los. Ein Gymnasiast verkaufte mir das Gewehr, und ich bereitete die Flucht des Schützen vor. Zur Tatzeit hielt ich mich aus Alibigründen unter zahlreichen Zeugen an einem anderen Ort auf. Später traf ich meinen Bekannten, um mir von seinem Jagdglück berichten zu lassen. Seinem verstörten Gesichtsausdruck musste ich jedoch entnehmen, dass nicht alles wunschgemäß verlaufen war. Er reichte mir das Gewehr und sagte kopfschüttelnd:

„Tut mir Leid, es hat nicht geklappt. Ich hatte den Hund genau im Visier, doch im letzten Moment muss er etwas gewittert haben. Einen Sekundenbruchteil vor dem Abdrücken ist er ganz plötzlich in eine Horde kleiner Kinder eingefallen, die schreiend in alle Himmelsrichtungen gerannt sind. Da habe ich aufgegeben.“

Die besagte Horde kleiner Kinder sammelt sich seither täglich vor meinen Fenstern und schreit von früh bis spät. Ich sehe keinen anderen Ausweg, als mir zu ihrer Abschreckung einen großen Hund anzuschaffen.