: 15 Milliarden Euro könnten helfen
Gewerkschaftsvertreter halten die Forderungen der IG Metall nach 8 Prozent mehr Lohn trotz der derzeitigen Finanzkrise für angemessen. „Wenn Milliardenbeträge für Banken vorhanden sind, dann ist auch Geld für die Arbeitnehmer da“, sagte DGB-Chef Michael Sommer. „Außerhalb der Finanzmärkte ist die Wirtschaftslage nicht schlecht.“ Die Metallindustrie in Deutschland gehöre zu den produktivsten Europas. Auch für den Vize der IG Metall, Detlef Wetzel, findet die Krise im Bankensystem und nicht in der Realwirtschaft statt. „Heute schon so zu tun, als würde alles zusammenbrechen, wäre fatal“. AP
AUS BERLIN TARIK AHMIA
Die Schockwellen der US-Kreditkrise erschüttern immer stärker auch die deutsche Wirtschaft. Die Kurse von Bankaktien sind schon seit Wochen im freien Fall. Mit Staatsbürgschaften in Milliardenhöhe musste jetzt mit der Hypo Real Estate erstmals eine Privatbank vor der Pleite gerettet werden. Aber auch das produzierende Gewerbe gerät wegen der weltweiten Kreditklemme immer stärker in Bedrängnis.
So schockte der weltgrößte Hersteller von Druckmaschinen – die Heidelberger Druck AG – Ende vergangener Woche ihre Anleger mit einer Gewinnwarnung, weil „wegen der gesamtwirtschaftlichen Situation weltweit eine Investitionszurückhaltung spürbar“ sei. Zuvor hatte die Nummer 3 der Druckbranche, die Koenig & Bauer AG aus Würzburg, ihre Umsatzprognose gesenkt, weil Bestellungen mangels Krediten storniert oder verschoben wurden. Die Lastwagenbauer MAN und Volvo kündigten unabhängig voneinander an, Investitionen zurückzufahren, weil die Nachfrage nach Lkws erstmals seit Jahren eingebrochen ist. Schlechte Absatzaussichten ließen letzte Woche auch die Aktienkurse von Porsche auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren einbrechen. „Verlässliche Absatzprognosen sind wegen der Finanzkrise schwierig“, teilte Porsche mit. Wegen der Kreditklemme bereits in Konkurs gegangen ist die Lindenau-Werft in Kiel, weil sie von den Banken die im Schiffbau übliche Finanzierungsbürgschaft nicht erhielt – obwohl die Werft nicht verschuldet war.
Schon jetzt prognostizieren Ökonomen, die Kreditkrise werde in Deutschland viele Arbeitsplätze vernichten: Den Verlust von 170.000 Jobs erwartet das Kieler Institut für Weltwirtschaft für 2009. „Eine leichte Rezession in Deutschland ist absehbar“, heißt es bei den Kieler Konjunkturexperten.
Noch ernster schätzt Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, die Lage ein: „Eine Rezession ist für die alte Welt, also USA, Europa, Japan, nicht mehr zu vermeiden.“ Albert Edwards, Chefstratege der französischen Großbank Société Générale glaubt: „Die Rezession wird unzählige Firmen in den Bankrott treiben.“
Wenn die Wirtschaft lahmt, fahren Unternehmen ihre Investitionen zurück, Verbraucher sparen beim Konsum, und die Steuereinnahmen brechen ein. Daraus kann sich schnell eine Abwärtsspirale entwickeln, denn die Reaktionen auf den Abschwung verstärken diesen meist. Doch wie immer in solchen Situationen tobt unter Ökonomen und Politikern ein Streit darüber, ob der Staat etwas dazu beitragen kann, den Abschwung zu mildern: „Ein Konjunkturpaket muss dringend aufgelegt werden“, fordern die einen. „Staatseingriffe entfachen nicht mehr als ein Strohfeuer“, kritisieren die anderen.
Schuld an dem Streit ist John Maynard Keynes. Der britische Ökonom hatte in den 30er-Jahren als Erster eine Antwort darauf, wie sich die Folgen begrenzen lassen, wenn die private Nachfrage einbricht. Er kam in seiner Analyse der Weltwirtschaftskrise in den 30er-Jahren zu dem damals revolutionären Schluss, dass nur der Staat temporär die Wirtschaft stabilisieren kann. Bei kleinen und großen Einbrüchen müsse dieser mit einer „antizyklischen“ Wirtschaftspolitik auf die schwankenden Erwartungen reagieren. Ein krasser Widerspruch zum damals fest verwurzelten Glauben, der Markt tendiere von selbst stets zum Gleichgewicht.
Eine neue Studie
Für neuen Zündstoff in dem jahrzehntealten Konflikt sorgt nun eine gerade erschienene Studie des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Leipzig. Darin hat ein Team um den Konjunkturforscher Ullrich Heilemann mithilfe einer seit 30 Jahren fortentwickelten volkswirtschaftlichen Simulation untersucht, ob und wie zusätzliche staatliche Ausgaben dem Wirtschaftswachstum helfen.
Das Fazit der Wissenschaftler: Deutschland könnte die Folgen des aktuellen Abschwungs dämpfen, wenn der Staat zügig zusätzliche Ausgaben tätigen würde. „Der Wachstumseinbruch könnte mit einem Konjunkturprogramm temporär abgefedert werden, weil die Einbußen ohne diese Maßnahmen deutlich größer wären“, sagt Heilemann. Der Ökonom warnt jedoch davor, das Instrument jenseits krisenhafter Situationen einzusetzen: „Es gibt auf der ganzen Welt kein Konjunkturprogramm, das eine Wirtschaft dauerhaft auf einen höheren Wachstumspfad bringen könnte.“
Besser als Steuern senken?
Eine zentrale Erkenntnis der Studie ist, wie der Staat das zusätzliche Geld am besten ausgeben sollte, um das Wirtschaftswachstum in schweren Zeiten optimal zu stabilisieren. Dafür haben die Ökonomen drei unterschiedliche fiskalpolitische Instrumente verglichen: Steuersenkungen, die Senkung der Beiträge zur Sozialversicherung sowie die Erhöhung staatlicher Investitionen. Untersucht wurde, welche Maßnahme den größten Wachstumsimpuls auslöst, wenn der Staat über drei Jahre jährlich 15 Milliarden Euro zusätzlich ausgibt. „Das entspricht etwa der Hälfte der investiven Maßnahmen, die die große Koalition im Jahr 2005 beschlossen hat“, sagt Heilemann.
Die stärksten Wachstumsimpulse werden demnach erreicht, wenn der Staat zusätzliches Geld investiert, etwa in die Infrastruktur und den Wohnungsbau. Aufwendungen für Bildung, die häufig für investiv gehalten werden, fallen allerdings nicht darunter. Das liegt an den Regeln der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die alle Ausgaben, die nicht in Beton, sondern in Personal fließen, dem „Staatskonsum“ zuordnen.
Solche Staatsausgaben würden jährlich im Durchschnitt rund 278.000 neue Jobs schaffen und das Bruttoinlandsprodukt um 15,7 Milliarden Euro steigern, so das Ergebnis der Konjunktursimulation. Im Vergleich dazu sei der Effekt von Konjunkturimpulsen, die auf Steuersenkungen oder auf niedrigere Sozialversicherungsbeiträge setzen, weniger als halb so groß.
Ein weiterer Vorteil staatlicher Investitionen sei zudem, dass diese sich durch die erzielten Wachstumseffekte zu gut 54 Prozent selbst finanzieren würden. Die Selbstfinanzierung der beiden anderen Maßnahmen betrage dagegen im Saldo nur etwa 20 Prozent.
Eile ist angebracht
Wenn die Bundesregierung dem aktuellen Abschwung noch rechtzeitig entgegenwirken will, ist jedoch Eile geboten, mahnen die Leipziger Forscher. Damit die Maßnahmen wirken, „müssen diese bis spätestens zum Jahreswechsel 2008/09 einsetzen“, heißt es in der Untersuchung.
Viel Zeit bleibt der Bundesregierung und den Ländern in der Eurozone in der Tat nicht. Alle konjunkturellen Frühindikatoren – darunter der Einkaufsmanager-Index, der ifo-Geschäftsklima-Index sowie der Auftragseingang der Industrie – zeichnen ein düsteres Bild: Demnach steckt Europa bereits in der Rezession.
Das signalisiert auch die Entwicklung der Kreditvergabe an den Privatsektor in Europa. Sie ist im August auf den geringsten Zuwachs seit Oktober 2005 gefallen. In Deutschland ist das formale Kriterium für eine Rezession bereits erfüllt, denn zum zweiten Mal in Folge war das Quartalswachstum negativ.
Makroökonomisches Krisenmanagement ist da gefragt. Wirtschaftsexperten wie der SPD-Finanzpolitiker Ortwin Runde fordern deshalb: „Wenn mit den USA ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung in die Rezession schlittert, dann muss man in Europa darüber nachdenken, wie man gegensteuert.“ Ähnlich wie die Leipziger Konjunkturforscher plädiert auch Runde für zusätzliche öffentliche Investitionen. „Das müsste am besten europäisch abgestimmt passieren“, sagt Runde. Doch im Gegensatz zu den USA wollen davon viele politischen Führer in Europa nichts wissen.
Zuletzt lehnten die 15 Finanzminister des Euroraumes Mitte September ein europaweites Konjunkturpaket ab. Vor allem Deutschland und sein Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) traten hierbei als Bremser auf. Der verkündet im Brustton neoliberaler Überzeugung: „Mit Konjunkturprogrammen wird nur Geld verbrannt.“
Auch am Wochenende lehnten die Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien auf ihrem Minigipfel in Paris europaweite Stützungsmaßnahmen ab. Andere Länder, allen voran die USA, haben schneller gehandelt. Schon Anfang des Jahres legte Washington ein Konjunkturpaket über 150 Milliarden Dollar auf. Volkswirte der EU-Kommission in Brüssel beurteilen das Paket der Amerikaner mittlerweile positiv. Es bescherte den USA im 2. Quartal einen Wachstumsschub von 3,3 Prozent.
Spanien kämpft momentan mit seiner hausgemachten Immobilienblase – und versucht, die einbrechende Nachfrage durch höhere staatliche Ausgaben auszugleichen. Auch in England tobt derzeit eine Debatte über den Plan von Premier Gordon Brown, mit 40 Milliarden zusätzlichen Pfund das kollabierende Wirtschaftswachstum aufzufangen.
Gegner der Programme
Deutsche Ökonomen liegen unterdessen miteinander weiter im kleinlichen Glaubensclinch. So steht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zusätzlichen stimulierenden Impulsen skeptisch gegenüber. „Die Deutsche Finanzpolitik ist bereits zu expansiv ausgelegt“, sagt DIW Konjunkturexperte Stefan Kooths. Es werde bereits genügend Geld im Bundeshaushalt, für die Sozialversicherungen und die Arbeitslosenversicherung ausgegeben. Staatliche Maßnahmen gegen einen drohenden wirtschaftlichen Abschwung hält er nicht für nötig, denn: „Deutschland wird keinen starken wirtschaftlichen Absturz erleben. Schon 2009 nimmt die deutsche Wirtschaft – nach einer vorläufigen wirtschaftlichen Abkühlung – wieder deutlich an Fahrt auf, und auch die US-Wirtschaft wird sich erholen.“
„Das DIW liegt damit gleich mehrfach falsch“, kritisiert Gustav Horn, wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. „Wir haben es nicht mit einer Wachstumsdelle zu tun“, sagt Horn. Der Aufschwung werde nicht weitergehen. „Eine Rezession ist wahrscheinlich, die zu massiven wirtschaftlichen Einbrüchen führen wird.“
Auch Gustav Horn plädiert für ein rasches Konjunkturprogramm – am besten auf EU-Ebene. Für Deutschland hält er zusätzliche öffentliche Investitionen von gut 30 Milliarden Euro für nötig. „Wir bestreiten nicht, dass ein gut gemeintes Konjunkturprogramm wirkt“, sagt dazu Stefan Kooths vom DIW. „Es ist jedoch sehr schwierig, das richtige Timing dafür hinzukriegen.“ „Das Timing ist in der Tat schwierig“, stimmt Horn zu. „Aber unabhängig davon stellt ein Konjunkturpaket zumindest sicher, dass man schneller aus der Krise herauskommt als ohne.“