: Kratzer am Vorzeige-Ossi
Eben sollte er Minister werden, da keimt gegen Leipzigs OB Tiefensee ein Verdacht auf
LEIPZIG taz ■ „Mein Platz ist in Leipzig“, hatte Wolfgang Tiefensee (SPD) gebetsmühlenartig wiederholt, als Gerhard Schröder ihn vor einem halben Jahr ins Bundeskabinett holen wollte. In Berlin war er für den Posten des „Superministers Ost“ vorgesehen. Keine schlechte Besetzung, gilt der 47-jährige Leipziger Oberbürgermeister doch als einer der Ostpolitiker, von denen viele mehr erwarten, als eine Kommune in Schuss zu halten. Nun ist selbst dieser Ruf gefährdet. Neun Leipziger Stadträte werfen Tiefensee vor, für den wirtschaftlichen Misserfolg eines ostdeutschen Vorzeigebetriebs verantwortlich zu sein.
In einem der taz vorliegenden Bericht eines Untersuchungsausschusses heißt es: „Die Hauptverantwortung für die eingetretene Situation tragen die Oberbürgermeister.“ Der „Betrieb für Beschäftigungsförderung (bfb)“ ist bereits Ende letzten Jahres eingeschläfert worden. Der ehemalige Chef der Beschäftigungsförder, Matthias von Hermanni, wurde vor drei Jahren unehrenhaft gegangen.
Mitte der 90er-Jahre hatte der Betrieb Hermannis als das beschäftigungpolitische Instrument gegolten, mit dem man der Massenarbeitslosigkeit im östlichen Deutschland Herr werden konnte. Das so genannte ABM-Kombinat schuf zeitweise 8.000 Arbeitsplätze – und schonte die Stadtkasse, die Sozialhilfe sparte.
So begeistert waren die Stadtväter von ihrer Erfindung, dass sie vergaßen, die Buchführung des Kombinates zu kontrollieren. „Im Kern wurde nicht gefragt, ob und wie mit den eingesetzten Mitteln ein Höchstmaß an Beschäftigung erreichbar ist“, heißt es in dem Bericht. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass das Leipziger Regierungspräsidium demnächst Vorermittlungen auch gegen Tiefensee aufnehmen wird. Dort lese man zurzeit den Bericht, teilte die Behörde gestern der taz mit.
Dabei hätten die Stadtväter genug Zeit gehabt, die Notbremse zu ziehen. Bereits 1997 hatte die stadteigene Beratungsgesellschaft für Beteiligungsverwaltung (BBVL) auf die Missstände im bfb hingewiesen. Seit 1993 kritisierten Rechnungsprüfer der Firmen C&L, PriceWaterhouseCoopers und KPMG die Buchführung des Betriebs. Jedes Mal schriftlich.
Zwei Ursachen nennt der Leiter des Untersuchungsausschusses, Lothar Tippach (PDS), für die bfb-Pleite. „Der Chef des bfb, Matthias von Hermanni, konnte jahrelang schalten und walten, wie er wollte“, so Tippach gestern zur taz. Außerdem habe die Stadt sich jahrelang keine Gedanken über Alternativen zum bfb gemacht. Er wolle seinen Untersuchungsbericht allerdings nicht als politische Waffe missbraucht sehen. Das grüne Ausschussmitglied Ingo Seidel sieht Wolfgang Tiefensee in der politischen Verantwortung. Allerdings: „Seit Tiefensee im Amt ist, hat er sich um Ordnung im bfb bemüht“, sagte Seidel gestern.
Oberbürgermeister Tiefensee selbst war für eine Stellungnahme gestern nicht zu erreichen. Er nehme den Bericht „sehr ernst“, sagte seine Sprecherin. Aber die Verantwortlichkeiten, die in dem Bericht genannt würden, müssten differenziert bewertet werden.
MATTHIAS BRAUN