: „Es erfolgt Einzelabfertigung!“
von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
Den Kollegen wird Vertraulichkeit zugesichert. Das Treffen solle „offenen Erfahrungsaustausch“ ermöglichen, heißt es in der E-Mail. Ohne Vorgesetzte, ohne Anwesenheitsliste, ohne Protokoll, jeden zweiten Montag im Monat, und: „Es darf auch Frust abgeladen werden.“ Warum die Veranstaltung nötig ist, beschreibt der Verfasser so: „Es ist nicht immer einfach, die richtigen Worte in jeder Situation zu finden. Es fällt auch nicht immer leicht, trotz Beleidigungen ruhig und freundlich zu bleiben, und manchmal überfällt einen das Gefühl, seine Arbeit einfach nicht mehr schaffen zu können.“
Der Ausdruck der Mail hängt in einem der grau-schmutzigen Flure der Berliner Ausländerbehörde, einem vierstöckigen Bürogebäude. Es ist die größte Ausländerbehörde in Deutschland. Ämter dieser Art haben sich einen schlechten Ruf erworben. Sie stehen für Unfreundlichkeit, Warteschlangen, Verständigungsprobleme und genervte, misstrauische Sachbearbeiter. Heute nun zeichnet die Humboldt-Stiftung „Deutschlands freundlichste Ausländerbehörde“ aus, andere Behörden erhalten Belobigungen (siehe Kasten). Der Preis soll das Bild des „offiziellen Deutschlands“, das maßgeblich durch die Ausländerbehörden vermittelt wird, verbessern: „Ein positives Signal für eine Kultur der Gastfreundschaft“ solle gesetzt werden, so heißt es in der Auslobung.
Die Berliner Behörde wurde siebenmal nominiert für den „Welcome“-Preis, so dass in der Innenbehörde schnell das Gerücht die Runde machte, die Hauptstadt gehöre zu den Ausgezeichneten. Aber auch mehrere positive Erfahrungsberichte ausländischer Akademiker führen nicht automatisch zu einer Berücksichtigung. Qualität vor Quantität.
Dabei könnte die Berliner Behörde dringend das Preisgeld gebrauchen. Um Schulungen für die Mitarbeiter zu organisieren, Wände zu streichen, zerfledderte Jalousien zu ersetzen oder Toilettenpapierhalter zu besorgen. Die mit Klebeband oder Metallklammern an Türen und Flurwänden befestigten Schilder hingegen, die den Ausländern zeigen, wo es langgeht, haben nichts mit Geldmangel zu tun. „Jede Person braucht eine Abfertigungsnummer“, heißt es. „Es erfolgt Einzelabfertigung!“ und „Achtung: Hier kein Eingang für Publikum!!!“ Es gibt Kopiergeräte, bei denen eine Kopie 30 Cent kostet. Wenn man die Aufschrift sieht, denkt man, dass es mit dem Freundlichkeitspreis wohl noch etwas dauern wird: „Dieser Kopierer ist für Sie hier aufgestellt worden! … Wenn er kaputt ist, wird er Ihnen nichts nutzen!!“
Harald Bösch-Soleil leitet die Behörde. Ein 45-jähriger Jurist mit weißem Haar, Schnauzbart und randloser Brille. 1995 ernannte ihn ein CDU-Senator „contre couleur“, wie er ein wenig stolz erzählt. An die französische Sonne im Namen kam Bösch-Soleil durch die Ehe mit einer Ausländerin. Auf seinen Vorvorgänger verübten vor 17 Jahren Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ ein Attentat. Sie schossen ihm in die Knie. Angst vor Anschlägen hat der jetzige Chef nicht. „Man muss damit leben, dass die Wahrnehmung der Behörde über Negativ-Output läuft“, sagt Bösch-Soleil.
Für das Tagesgeschäft werden keine Preise verliehen. Im vergangenen Jahr hatten seine 350 Mitarbeiter 295.000 „Kundenkontakte“. 195.000 davon betrafen Einreise und Aufenthalt und der Rest Abschiebungen und Asylangelegenheiten. Für die 6.200 ausländischen Studenten wurden zudem extra Sprechtage eingerichtet. Bei diesen Zahlen nehmen sich die 130 Beschwerden, die es gab, gering aus. Zumindest wenn 90 Prozent davon, wie Bösch-Soleil sagt, „kein subjektives Fehlverhalten“ von Mitarbeitern betrafen. „Es gibt auch Dienstaufsichtsbeschwerden, nur weil ein Mitarbeiter nicht aufgestanden ist.“
Berliner Anwälte, die sich hauptsächlich mit Ausländer- und Asylrecht beschäftigen, berichten nur von „seltenen Ausreißern negativer Art“. „Die Behörde ist relativ berechenbar“, sagt die Anwältin Petra Schlagenhauf, „und ganz selten richtig gesetzeswidrig.“ Einen Teil des Frusts der Mitarbeiter kann sie verstehen: „Die Leute nutzen sich ab und es entwickelt sich ein Geist, da will uns jemand was aus den Rippen schneiden, was ihm nicht zusteht.“
Bösch-Soleil sieht die Ursache des schlechten Images in dem Spannungsfeld zwischen zwei Extremen: „Alle raus oder alle rein.“ Aber, das ist ihm wichtig, „wir sind sicher weder das eine noch das andere“. Das Ausländerrecht sei „kein Abwehrrecht“. Doch die rechtlichen Vorgaben seien auf Abwehr gerichtet. Deutschland, das bedauert er, sei „noch immer kein Einwanderungsland“. Viele verwechselten die Ausländerbehörde mit dem Gesetzgeber. „Wir führen die Gesetze aus, wir machen sie nicht.“
Bösch-Soleil findet den Preis der freundlichsten Ausländerbehörde gut. „Beurteilungen von Externen sind immer interessant.“ Aber er betrachtet es als Manko, dass er nicht die Kriterien kennt, die zu einer Nominierung führen. „Vielleicht hat ja jemand eine falsche Bewilligung bekommen und ist deshalb äußerst zufrieden“, unkt er. Er hat sich damit abgefunden, dass seine Behörde in den Medien nur mit negativen Schlagzeilen erwähnt wird, obwohl die Zeiten vorbei sind, in denen sich morgens um fünf lange Schlangen bildeten. Als persönliche Schmach empfindet er die Nichtberücksichtigung nicht. „Wir sind aufs Massengeschäft angelegt“, sagt er. „Es gibt Fachgeschäfte und Kaufhäuser. Und wir sind der Aldi des Ausländerrechts.“
Brandenburg an der Havel, eine Stadt mit 75.000 Einwohnern anderthalb Stunden von Berlin entfernt. Die Ausländerbehörde gehört zu den zwölf, die ein Lob bekommen werden. Dann kann sich Angela Brändel, 43 Jahre alt, Diplomdolmetscherin und Leiterin der Behörde, eine Urkunde in ihr Büro stellen. Kaufen kann sie sich dafür nichts. Aber jedes Detail, das irgendwie zur Verschönerung ihrer Arbeitsstelle beiträgt, ist ihr willkommen. Denn sie selbst sagt: „Unser Gebäude sieht nicht aus wie ein Willkommensgruß.“
Die Ausländerbehörde liegt in einem Neubaugebiet zwischen einem Getränkeabholmarkt und der dichtgemachten Kneipe „Brandenburger Perle“. Behörde ist gut. Es ist eine Baracke aus den 60er-Jahren, die damals als Unterkunft für Bauarbeiter errichtet wurde, die die Plattenbauten ringsherum hochgezogen haben. Später zog der Abschnittsbevollmächtigte mit einer Meldestelle ein. Geblieben aus dieser Zeit sind die Sanitär- und Kücheneinrichtungen und die Gitterstäbe vor den Fenstern. Erst vor zwei Jahren wurde das Karteikartensystem durch Computer ersetzt. Mit Farbe und neuem Fußbodenbelag wurde das Innere der Baracke halbwegs freundlich gestaltet. Für zusätzliche Einbauten wie Kundentoiletten ist kein Platz.
Brändel, eine Frau mit blonden Haaren und Goldrandbrille und von sympathischer Resolutheit, freut sich über die Anerkennung. „Das ist für unsere Psyche ganz wichtig.“ Nach zwölf Jahren hat sie gemerkt: „Entweder wird die Haut so dick, dass man unempfindlich wird, oder die Haut wird immer dünner.“
Ausländerbehörden in kleineren Orten, noch dazu im Osten, wo der Ausländeranteil gering ist, haben den Vorteil, nicht so viele Kunden bedienen zu müssen. Wenn es in der Baracke in Brandenburg an der Havel richtig voll ist, drängeln sich 20 Kunden pro Stunde im Warteraum und auf dem Flur. Das liegt daran, dass die Behörde für nur etwa 2.000 Ausländer zuständig ist. Die Zahl der nichtdeutschen Studenten und Doktoranden liegt bei gerade einmal 100. Da nutzen die Mitarbeiter Ermessensspielräume etwa bei der Erteilung von Urlaubsscheinen eher zugunsten von Flüchtlingen. Und es ist es keine Ausnahme, dass sie sich eher Zeit nehmen, um beim Ausfüllen von Formularen zu helfen, bei Bedarf Russisch oder Englisch zu sprechen. Dienstleistungen, die sich der Staat in größeren Behörden nicht leisten mag.
Eine Besonderheit in Brandenburg an der Havel ist auch das Verhältnis zwischen der Behördenchefin und der Ausländerbeauftragten Katrin Tietz. „Es ist sicher ungewöhnlich, dass wir oft einer Meinung sind“, sagt Tietz. „Aber ich kenne den Arbeitsaufwand der Mitarbeiter der Behörde und ich verstehe auch meine ausländischen Mitbürger. Manchmal ist es schwer, ihnen beizubringen, dass der Spielraum der Ausländerbehörde begrenzt ist.“ Brändel erklärt, dass sie es wichtig findet, das Gespräch zu suchen. „Man ist selbst auch nur ein Mensch und nicht vorurteilsfrei.“
Eine der drei Nominierungen für Brandenburg an der Havel stammt von der Kolumbianerin Angela Santana. Die 31-Jährige kam mit einem Stipendium zum Studieren nach Deutschland. Nach einem halben Jahr in Leipzig absolviert sie ein Wirtschaftsingenieur-Aufbaustudium an der dortigen Fachhochschule. Wieso sie Brandenburg nominiert hat? „Die Leute waren sehr freundlich und haben mir beim Formulare-Ausfüllen geholfen“, sagt sie in fast perfektem Deutsch. Was? Das ist alles? Ja, mehr war nicht, sagt sie. Dass die Kolumbianerin von einer Selbstverständlichkeit angetan ist, hat eine simple Erklärung. Der schlechte Ruf der deutschen Ausländerbehörden ist längst bis Bogotá vorgedrungen.