: Die Mutter hat das Sagen
Überraschende Entscheidung aus Karlsruhe: Selbst wenn ein lediger Vater sich intensiv um sein Kind kümmert, hat er keinen Anspruch auf das Sorgerecht
aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH
Christian G. hatte sich zu früh gefreut. Als das Bundesverfassungsgericht gestern sein Urteil verkündete, dachte der Tübinger Journalist zunächst, dass er einen großen Sieg für die nichtehelichen Väter errungen habe. Triumphierend reckte er beide Fäuste in die Höhe. Doch im Laufe der Urteilsbegründung wurde immer deutlicher, dass das Gericht im Kern alles beim Alten belassen will.
Zur Entscheidung standen zwei Fälle – einer aus Tübingen, der andere aus dem hessischen Korbach –, bei denen ledige Väter ein Sorgerecht für ihre Kinder erstreiten wollten. Kläger G. betreut seinen Sohn die Hälfte der Woche, während das Kind die restliche Zeit bei der Mutter verbringt. Der Hesse hatte seinen Sohn sogar phasenweise allein erzogen, als die Mutter im Krankenhaus lag oder mit einem anderen Mann zusammenlebte. In beiden Fällen lehnten die Mütter ein gemeinsames Sorgerecht ab.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) hat bei nichtehelichen Kindern zunächst die Mutter das alleinige Sorgerecht. Das heißt, sie kann das Kind allein erziehen oder entscheiden, wo es leben soll. Seit 1998 können sich ledige Eltern immerhin auf eine „Sorgeerklärung“ einigen, um die elterliche Sorge gemeinsam auszuüben. Gegen den Willen der Mutter können ledige Väter das Sorgerecht aber nach wie vor nicht erlangen. Ihnen verbleibt im Konfliktfall nur ein Umgangsrecht für gelegentliche Besuche bei ihrem Kind.
Karlsruhe entschied nun, dass diese Rechtslage nicht verfassungswidrig ist. So betonte das Gericht, es sei „sachgerecht“, das uneheliche Kind zunächst allein der Mutter zuzuordnen. Zu ihr entwickele sich schon während der Schwangerschaft eine Beziehung, die sich nach der Geburt fortsetze. Dagegen sei es zum Zeitpunkt der Geburt oft noch nicht klar, wer der Vater sei und ob er bereit ist, eine Beziehung zum Kind aufzubauen. Schließlich gingen viele Beziehungen gerade nach einer Geburt in die Brüche.
In einem zweiten Schritt akzeptierte das Gericht auch, dass selbst ein Vater, der seine Rolle annimmt und sich in der Erziehung des Kindes engagiert, nur mit dem Willen der Mutter ein gemeinsames Sorgerecht erhalten kann. „Sind die Eltern zur Kooperation weder bereit noch in der Lage, kann die gemeinsame Sorge für das Kind dem Kindeswohl zuwiderlaufen“, erklärte der zuständige Erste Senat des Verfassungsgerichts. Der Gesetzgeber durfte deshalb annehmen, dass eine gegen den Willen der Frau erzwungene gemeinsame Sorge „mit mehr Nachteilen als Vorteilen für das Kind“ verbunden ist.
Diese Entscheidung kam überraschend. Eigentlich hatte man in Karlsruhe eher damit gerechnet, dass die Rechte nichtehelicher Väter gestärkt werden. Bei der mündlichen Verhandlung hatten fast alle Experten, vom Juristinnenbund bis zum Deutschen Institut für Familienhilfe, das geltende Recht für verfassungswidrig gehalten und in der Regel für eine Einzelfallprüfung anhand des Kindeswohls plädiert.
Doch laut Urteil durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass eine nichteheliche Mutter sich dem Wunsch des Vaters nur dann verweigert, „wenn sie dafür schwer wiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden“. Dass sie die Vetomacht „als Machtposition gegenüber dem Vater missbraucht“, habe der Bundestag nicht unterstellen müssen.
Dem Gericht war allerdings klar, dass diese Sichtweise umstritten sein wird. Es verpflichtete daher den Bundestag, genau die weitere Entwicklung zu beobachten. Sollte es tatsächlich „eine beträchtliche Zahl“ von Fällen geben, bei denen die Mutter ihre Position missbraucht, werde die derzeitige Gesetzeslage doch noch verfassungswidrig. Nur einen kleinen Erfolg konnte Kläger G. verbuchen. Für Paare, die sich bereits vor Juli 1998 getrennt haben, hätte der Gesetzgeber eine Übergangsregelung schaffen müssen. Denn vor diesem Zeitpunkt war es nichtehelichen Eltern selbst mit Willen der Frau nicht möglich, eine gemeinsame Sorge zu begründen. Hier muss der Bundestag nun doch eine Einzelfallprüfung zulassen. Bis Jahresende hat der Gesetzgeber für die Neuregelung Zeit.
Ob G. eine solche Einzelfallprüfung beantragen wird, ließ er gestern offen: „Ich will eigentlich nicht vor dem Oberlandesgericht auf den Knien rutschen und um mein Recht betteln.“ Angesichts seines auch gestern ziemlich missionarischen Auftretens dürften G.s Chancen auf ein gemeinsames Sorgerecht tatsächlich eher gering sein.