Opfer als Ankläger

Im Prozess um den 11. September schilderten Angehörige von Verstorbenen ihr Leid. Gericht: Noch keine Entscheidung über Schuld des Angeklagten

von ELKE SPANNER

Es war ihre erste Begegnung mit dem Mann, der schuld tragen soll an ihrem Leid. Der angeklagt ist, die Anschläge des 11. September mit vorbereitet zu haben. Die Angehörigen von Opfern der Terroranschläge wollten Mounir El Motassadeq vor Augen führen, wie ihre Familien zerstört worden sind – und vor allem auch den Richtern des Hanseatischen Oberlandesgerichtes (OLG) „vor ihrem Urteil die menschliche Seite dieser Tragödie nahe bringen“, so Stephen Push von der Organisation „Familien des 11. September“. Dafür waren fünf Angehörige der Terroropfer gestern nach Hamburg gereist.

Das OLG war bereit, ihnen Gehör zu verschaffen – und musste sie dann doch auf die Unschuldsvermutung verweisen, die auch für mutmaßliche Attentäter des 11. September bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt: „Die Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten“, so der Vorsitzende Albrecht Mentz, „ist hier noch nicht gefallen“.

Die kleine Ermahnung war nötig geworden, nachdem Maureen Fanning ihren Wunsch ausgesprochen hatte, dass Mounir El Motassadeq „lebenslang ins Gefängnis kommt: die Welt muss vor den selbstmörderischen und mörderischen Neigungen des Angeklagten geschützt werden.“ Fanning hat beim Einsturz des World Trade Center ihren Ehemann und Vater ihrer beiden Söhne verloren. Für sie besteht kein Zweifel daran, dass Motassadeq für ihr Leid die Verantwortung trägt: Er habe sich „mit dem Geist des Bösen“ zusammengetan und sich in diesem Prozess „aggressiv verteidigen lassen“, statt „sich schuldig zu bekennen“.

Andere Nebenkläger haben Strafen für die Terroristen eingefordert, ohne damit konkret Motassadeq anzusprechen. Stephen Push schilderte eindringlich den Verlust seiner Frau, die an Bord des Flugzeuges war, das die Entführer ins Pentagon hatten stürzen lassen. „Die Gestorbenen“, sprach er für alle Hinterbliebenen,„werden von 100.000 Freunden und Angehörigen vermisst.“ Er fügte aber auch hinzu, dass er nicht davon ausgeht, mit den persönlichen Berichten das Gericht bei der Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu beeinflussen. Sollte es den Angeklagten aber für schuldig befinden, so Push, dann hoffe er, „dass Sie die persönlichen Geschichten der Opfer berücksichtigen“.

Deena Bernett bat das Gericht, sich von den letzten Worten ihres Mannes leiten zu lassen. Der hatte sie am 11. September vom Handy aus angerufen, ehe er mit einer Maschine in Pennsylvania abstürzte. Er habe angekündigt, an Bord „etwas gegen die Terroristen zu unternehmen“. Joan Molinaro, Mutter eines im World Trade Center gestorbenen Feuerwehrmannes, sagte im Anschluss an den gestrigen Prozesstag, einige der Richter hätten bei den Schilderungen der Hinterbliebenen Gefühle gezeigt: „Das ist gut.“