Mischung aus Mut und Risikobewusstsein

Beim Skifliegen, wie am Wochenende in Bad Mitterndorf, wirken sich materielle Nachteile besonders aus

BAD MITTERNDORF taz ■ Waleri Kobelew ist ein Mann mit tiefliegenden Augen und ernstem Blick. Wenn er an den Schanzen der Welt seine Sprünge macht, bleibt das meist relativ unbemerkt, seine Leistungen sind Mittelmaß, ab und zu zeigt er einen guten Versuch, meist sind seine Sprünge aber mäßig. Ein fünfter Platz beim Springen in Sapporo im vergangenen Jahr war sein bislang bestes Ergebnis.

Wenn es wieder zum Skifliegen geht, wird man seinen Namen öfters hören. Vielleicht werden im Fernsehen Bilder von jenem Märztag des Jahres 1999 gezeigt, als Waleri Kobelew auf der Skiflugschanze in Planica schwer stürzte. Er knallte aus acht Metern Höhe auf den Aufsprunghang, überschlug sich mehrmals und blieb bewusstlos liegen. Er fiel ins Koma, rang tagelang mit dem Tod. Ein Jahr später trainierte er wieder. Heute ist er wieder im Weltcup dabei, der Sturz scheint bei ihm kein Trauma ausgelöst zu haben. „Vergessen? Nein, das geht nicht“, sagt er. Aber verdrängen, ja das ginge gut. Wenn er an eine Skiflugschanze komme, so Kobelew, konzentriere er sich auf das Kommende, nicht auf den schlimmen Sturz in der Vergangenheit. Warum ist er auf die Schanzen zurückgekehrt? „Weil es mein Sport ist.“

An diesem Wochenende fliegen sie wieder. In Bad Mitterndorf in Österreich setzen die besten Skispringer der Welt zum Flug an, sie werden über die 200-Meter-Marke segeln und danach verkünden, welch besondere Faszination vom Skifliegen ausgehe. Sven Hannawald, der deutsche Star, liebt das Skifliegen, „es ist eine besondere Freude, ein tolles Gefühl“. Aber Skifliegen birgt auch Gefahren, siehe Kobelews Sturz. Die Top-Athleten haben die Sache meist im Griff. Die Methodik der Trainer setzt sich mit den Risiken auseinander, medizinische Untersuchungen belegen die Hormonausschüttung während des Fluges, die Springer lernen mit Unterstützung der Ärzte, wie man mit den Belastungen umgeht. Doch nicht alle Springer haben einen professionellen Trainer- und Betreuerstab. Nationen wie Südkorea, Kasachstan und Russland sind weit weg vom Erfolg, das Geld ist knapp.

„Wir tun vieles für die Chancengleichheit“, sagt Walter Hofer, Renndirektor beim Internationalen Skiverband. „Wir geben zum Beispiel Tipps bei der Trainingsmethodik und versuchen, diesen Teams auch finanziell unter die Arme zu greifen.“ Mittlerweile würden etablierte Skifirmen auch den ärmeren Nationen Material kostengünstig zur Verfügung stellen. Das Risiko beim Skifliegen sei kalkulierbar, „wer nicht wirklich von sich überzeugt ist, fliegt nicht. Die, die zum Skiflug-Weltcup anreisen, kommen damit zurecht, diesen enormen Belastungen ausgesetzt zu sein.“

Trotzdem, gibt Hofer zu, sei die Technik längst nicht da, wo beispielsweise österreichische oder deutsche Standards sind. Und vor allem beim Skifliegen muss alles passen. Kleinste Fehler können verheerende Auswirkungen haben. Schon die riesigen Schanzen wirken furchteinflößend, doch Angst, dieses Gefühl kennen auch die Athleten, die weniger technisch versiert sind, nicht. „Nein, das ist schon okay so“, sagt Heung Chul Choi aus Südkorea. „Fliegen ist ein schönes Gefühl.“ Jochen Danneberg, der ehemalige Weltklassespringer, betreut die Südkoreaner. Mit seiner Erfahrung kann er seine jungen Schützlinge auch auf Schwierigkeiten und Risiken im Skiflugsport hinweisen. „Sie haben die richtige Mischung aus Mut und Risikobewusstsein. Sie können Dinge richtig einschätzen. Niemand ist verwegen und setzt seine Gesundheit unnötig aufs Spiel“, sagt er.

Jens Salumäe aus Estland hat seine ersten Trainingsversuche auf der Skiflugschanze am Kulm hinter sich gebracht. „Nun, es ist schon ein bisschen schwierig“, meint er. Und: „Ich habe nicht so viele Trainingssprünge wie die Deutschen, Österreicher oder Finnen. Unsere Schanzen sind alt und klein. Das Geld ist knapp.“ Dennoch, das Skifliegen sei für ihn eine besondere Herausforderung, der er sich stellen will, „schließlich bin ich Sportler. Ich werde vor dieser großen Schanze keine Angst haben.“ Salumäe stapft weiter, wieder den Turm hinauf. Oben blickt er ins verschneite steirische Salzkammergut hinab, vielleicht will er das mulmige Gefühl im Magen mit dem Gedanken an die schöne Landschaft verdrängen.

KATHRIN ZEILMANN