Vage Vorstellungen von Exit

1.000 mehr Soldaten für Afghanistan, und kein Plan, wie es genau weitergeht – kommende Woche beschließt der Bundestag das neue Isaf-Mandat

Isaf (International Security Assistance Force): Die internationale Schutztruppe zum Schutz und Wiederaufbau Afghanistans ist, versehen mit einem UN-Mandat, seit 2001 im Land. Seit 2003 untersteht die Isaf dem Kommando der Nato. Derzeit sind etwa 53.000 Soldaten aus 40 Staaten beteiligt. Die meisten sind Amerikaner (23.550), gefolgt von Briten (8.530) und Deutschen (3.340). Die Bundeswehr ist im Norden Afghanistans und in Kabul stationiert.

OEF (Operation Enduring Freedom): Militäroperation gegen das Terror-Netzwerk al-Qaida und die Taliban unter Leitung von US-Militär in vier Weltregionen, darunter am Horn von Afrika. Die Bundeswehr stellte für Aghanistan 100 Elitesoldaten des Spezialkräftekommandos KSK zur Verfügung, die seit drei Jahren nicht im Einsatz waren. OEF-Mandat wie Isaf-Einsatz werden getrennt und jährlich vom Bundestag entschieden.

AUS BERLIN ULRIKE WINKELMANN

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Dienstag im Bundestag, sei „kein Selbstzweck“. Er diene dem afghanischen Volk, „das in über 30 Jahren Bürgerkrieg geschunden wurde“. Ja: „Die Rückschläge haben zugenommen.“ Aber: „Wir wussten von Anfang an um die Schwere der Aufgabe“. Wirklich?

Die „Halbherzigkeit“ der Bundesregierung beim Thema Afghanistan geißelte der Grüne Winfried Nachtwei, dessen Beherztheit bei seinem ganz persönlichen Afghanistan-Einsatz über Parteikreise hinaus anerkannt wird. Es fehle eine Bestandsaufnahme des über siebenjährigen Einsatzes, die „auch die Fehler benennt, die wir mit Rotgrün mitverantwortet haben“, rief Nachtwei Richtung Regierungsbank.

Die Sondersitzung des Bundestags zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan stand im Zeichen von Nachrichten zunehmender Anschläge vor Ort und beginnender Gespräche mit den Taliban. Dass durch Verhandlungen mit dem Gegner in Afghanistan und Pakistan sich der Charakter auch des Bundeswehreinsatzes ändern könnte, klang in den Redebeiträgen durch. Auf die Verlängerung und Aufstockung des Mandats, die am Vormittag vom Kabinett verabschiedet wurde und kommende Woche vom Bundestag beschlossen werden soll, hat dies noch keinen Einfluss.

Statt wie üblich 12 soll das neue Mandat 14 Monate gelten, damit der im Oktober 2009 frisch gewählte Bundestag sich zur nächsten Verlängerung sortieren kann. 4.500 Mann und Frau können künftig maximal nach Afghanistan geschickt werden. Wesentlich mehr als die gegenwärtig maximal 3.500 Soldaten werden zwar nach Aussage der Militärs nicht gebraucht, doch wurde die bisherige Obergrenze zuletzt ständig durchbrochen, wenn die Kontingente wechselten.

Die Beschränkung des Einsatzgebietes auf den Norden wird mit dem dauerhaften Einsatz von Fernmeldesoldaten in Kandahar weiter aufgeweicht. Die für die 14 Monate veranschlagten Militärkosten belaufen sich auf 688,1 Millionen Euro. Für den zivilen Wiederaufbau sind 2008 zwar 170,7 Millionen Euro eingeplant. Die darin enthaltene diesjährige Hungerhilfe von 30 Millionen Euro soll aber 2009 nicht fließen.

Abgesehen von den Zahlen unterscheidet sich der neue Mandatstext auch im Tonfall von der 2007er Version. Vergangenes Jahr wurden „trotz Rückschlägen wichtige Fortschritte“ verzeichnet. Die Sicherheitslage bot „Anlass zur Sorge“. In diesem Jahr schreiben die beteiligten Ministerien kühler, aber angespannt: Trotz ermutigender Anzeichen „gibt es Defizite, sowohl beim (…) Wiederaufbau als auch bei der Sicherheitslage.“

Die an Naturheilverfahren erinnernde Formel vom „ganzheitlichen Ansatz“ der Bundeswehr fehlt. Stattdessen benennt die Regierung ihre Anstrengungen etwas konkreter. So verspricht sie etwa einen Zuwachs um drei auf dann sieben Ausbildungsteams, die so wichtig für den Aufbau der Afghanischen Nationalarmee ANA sind.

Eine Exit-Strategie klingt im Mandatstext nur vage an. „Der erfolgreiche Aufbau der afghanischen Sicherheitsorgane ist die wesentliche Voraussetzung für den Abzug der internationalen Truppen.“ Trotz diverser Nato-Projektionen für 2012 und 2013, wann Armee und Polizei in Afghanistan weit genug sein könnten, will die Bundesregierung ausdrücklich keine Jahreszahlen für einen Abzug nennen. Dies dürfte auch damit zu tun haben, dass die USA die Nato-Partner dringend bitten, den Aufbau der ANA nicht nur zu begrüßen, sondern sie auch mit zu bezahlen.

Wann der Aufbau der ANA erreicht ist, „kann bis heute seriös niemand beantworten“, erklärte so auch am Dienstag der Regierungssprecher Thomas Steg. Das Kabinett samt Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (beide CDU) finde die Rede von Exit-Strategien „schädlich und fahrlässig“.

Diese Grußadresse richtete sich an den Landesgruppenchef der CSU Peter Ramsauer, der im Bundestag erneut nach einem Abzugsplan verlangte. Er wird darin von seinen CSU-Kollegen unterstützt – allerdings müsse man „konkrete Aufbauleistungen daran binden“, sagte etwa der Außenpolitiker Karl-Theodor zu Guttenberg zur taz.

Nun haben in der Außen- und Verteidigungspolitik auch Koalitionsabgeordnete mehr Freiheit zur eigenen Meinung. Diese richtet sich weniger an Parteilinien als am Interesse am Gegenstand aus. Doch steht eine große Mehrheit für das Mandat bei Union und SPD sowie auch bei der FDP außer Frage. Den SPD-Skeptikern hat Steinmeier rechtzeitig einen Wunsch erfüllt. Der Einsatz des Sonderkommandos KSK im Rahmen der US-geführten „Operation Enduring Freedom“ soll im November nicht verlängert werden. Gebraucht wird das KSK von den Amerikanern ohnehin nicht – von den Isaf-Kommandeuren sehr wohl.

Die Grünen werden sich voraussichtlich enthalten – mit einer wachsenden Zahl von Neinstimmen. Geschlossen dagegen sind im Bundestag nur die Reihen der Linksfraktion. „Mehr Militär bedeutet in der Praxis mehr Unsicherheit und Gewalt“, sagte die Linke Monika Knoche. Dass aber ein sofortiger Abzug auch nicht mehr Sicherheit bedeutet, das weiß auch die Linksfraktion.