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: Hörspiel des Monats

Hörspiel, neue dramat. Lit.-gattung seit der Erfindung des Mediums Rundfunk (erstes H. 6.10.1923, Glasgow), gekennzeichnet durch Wegfall alles Optischen zugunsten des rein Akustischen.

 Na so was! Du schlaues Sachwörterbuch der Literatur! Überrascht uns ja nicht gerade, dass im Rundfunk die Optik der Akustik weicht. Oder hat schon mal jemand Radio geguckt? Gut, ich finde es auch schön, wenn mich jemand bewundernd anschaut, aber das gehört jetzt nicht hierher. Sondern das Hörspiel. Weder Vor- noch Nach- noch Relegationsspiel, das Hörspiel soll heute im Mittelpunkt stehen. Wie wir oben gelernt haben, ging es kurz nach Erfindung des Rundfunks auf Sendung. Anfangs sprach man noch von Hörbild und Hörfolge, hat mir meine Großmutter, eine stattliche Rückkopplungsempfängerin, erzählt. Meist wurden kurze Szenen oder Gedichte vorgetragen, mit Musik und Geräuschen aufgerüscht. Ab dem Ende der Zwanzigerjahre erlebte das Hörspiel seine erste Blütezeit – Autoren wie Bertolt Brecht, Walter Benjamin, Alfred Döblin oder Erich Kästner schrieben eigens fürs Radio. Dann gab es eine kriegsbedingte Zwangspause, bevor Ende der Vierzigerjahre wieder ordentlich produziert und gelauscht werden durfte.

 Überhaupt waren große Schriftsteller auch in der Folge immer schwer hörbegeistert und schrieben Funkliteratur. Besonders die Autoren der Gruppe 47 (Günter Eich, Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann) machten sich im Radio stark. Allerdings – um noch ein bisschen besserzuwissern – ist es ein Unterschied, ob man einfach von Literatur im Radio oder einem Hörspiel spricht. Befragen wir noch einmal das schlaue Buch (zum Glück bin ich ja eines der wenigen Radios, das lesen kann). Hier steht was von strengster Konzentration der Handlung, geringer Personenzahl, kurzer Sendedauer, Ein-, Über- und Rückblende, Darstellung des Irrealen, Freizügigkeit in Orts- und Szenenwechsel und Zeitgestaltung, und so weiter und so fort. Ziemlich willkürlich, dieser Gattungsbegriff. Da kann man sich gleich an Helmut Heißenbüttel halten, der das Hörspiel so charakterisierte: „Alles ist möglich. Alles ist erlaubt.“

 Und daher möchte ich heute auf das Hörspiel des Monats hinweisen, ausgewählt von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und gesendet vom Deutschlandfunk (DLF). And the winner is dieses Mal: „Einfach Schnickschnack“ von Daniil Charms, in der Bearbeitung des Musikers und Regisseurs Stefan Hardt, produziert von HR und NDR.

 Hardt hat sieben Texte des russischen Schriftstellers vertont und überwiegend von Kindern vortragen lassen. Kleine absurde Geschichtchen – über seltsame Verwandlungen, über 44 fröhliche Zeisige, über eine alte, vom Mond gefallene Frau, die Tinte kaufen will. Durch das Serielle in der Darstellung werde ein komischer Effekt erzeugt, der durch eine durchkomponierte Geräuschästhetik noch unterstrichen werde, lobt die Jury etwas hölzern, „ein Vergnügen für Kinder wie für Erwachsene“ (DLF, Dienstag, 20.10 Uhr). Schön, dass alles möglich, alles erlaubt ist. Und noch schöner, dass man Lust bekommt, mehr von Daniil Charms (1905–1942), hierzulande eher eine schmächtige Figur, kennen zu lernen.

 Entweder greift man also zu einer Erzählung, einem Theater- oder einem Kinderstück und entdeckt Charms beim Lesen. Oder man schaltet schon heute Abend das Radio an und schenkt seinem „stereophonem Trauerspiel“ Gehör: „Elizaveta Bam oder Der Untergang des Bürgerlichen Theaters“. Weniger Quatsch im Quadrat, sondern eher ein groteskes Spiel im Spiel, ein bissiger Abgesang auf das Theater (DLF, Samstag, 20.05 Uhr). Mit einer Protagonistin, deren Namen wie gemacht ist zum Zuhören. Sie müssen ihn nur ein paar Mal laut aufsagen. Elizaveta Bam. Elizaveta Bam. Fast so akustisch wertvoll wie:VERONA VON BLAUPUNKT

(Frequenzprobleme? Hilfe im Internet unter www.ukwsender.de)