: berliner szenen Klospruch mit Folgen
Nachdenken über Anna
Auf der Herrentoilette einer ziemlich beliebten Bar in Prenzlauer Berg hat sich ein Mensch schriftlich verewigt. Das ist nicht schlimm, dergleichen tun viele. Besonders ist an dieser Verewigung allerdings, dass die Botschaft so obskur ist. Denn weder lesen wir ein Beischlafangebot, eine Obszönität, einen Schüttelvers oder einen Namenszug. Wir lesen statt dessen den Satz: „Anna R. was my love.“
Was, so frage ich mich, will mir der Autor – man kann davon ausgehen, dass den Satz keine Autorin hingeschrieben hat, Herrentoilette! – damit sagen? Ich nehme zur Kenntnis, dass der Mann verliebt war, und das in eine Frau mit diesem Namen. Sollte er sich verschrieben haben und ist er noch immer verliebt in sie? Will er seinen Lesern also nur mitteilen, dass er eine Liebschaft hat?
Und warum will er es mitteilen? Soll dieser Satz die Ewigkeit beschwören, so wie es Herzen in der Baumrinde tun? Hätte er dann, damit der Zauber wirkt, nicht auch seinen Namen nennen müssen, zumindest die Initialen? Sollte er sich aber nicht verschrieben haben, warum will er uns mitteilen, dass sie seine Liebe war, vielleicht gar seine große? Denkt er, das wir Anna kennen und es ihr sagen können? Glaubt er, sie geht auch mal aufs Männerklo? Fragen über Fragen und folgende Überlegungen: Entweder hier hat jemand aus Potenznöten beweisen wollen, dass er schon mal eine Liaison hatte, und das sogar mit der vielleicht zumindest im Prenzlauer Berg berühmten Anna R. Oder aber hier wollte jemand seinen Schmerz loswerden, und immer, wenn er in diese Bar geht und sich irgendwann erleichtert, an diesen Schmerz erinnert werden. (Vielleicht ist es aber auch ein enttäuschter Rosenstolz-Fan? d. Red). So oder so: Beides ist ganz schön blöd. JÖRG SUNDERMEIER