: Grünes Licht für US-Truppen
Regierung und Militärspitze in der Türkei lenken gegenüber den Forderungen Washingtons ein. Nun soll das Parlament in einer Sondersitzung entscheiden
ISTANBUL taz ■ Nach langem Zögern sind in der Türkei nun die Würfel gefallen. Kommt es zu einem US-Angriff auf den Irak, wird die Türkei den Durchzug und die teilweise Stationierung von US-Truppen zustimmen und selbst alle militärischen Voraussetzungen schaffen, um ihre eigenen Interessen zu wahren. Mit diesem Ergebnis endete am Freitagabend erwartungsgemäß eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats, auch wenn das Abschlusskommunique sich wie eine weitere Vertagung liest.
Öffentlich verkündet wurde, dass nun das türkische Parlament in einer Sondersitzung eine Entscheidung fällen müsse, doch dem Parlament wird kaum etwas anderes übrig bleiben, als die von Regierung und Militärspitze getroffenen Entscheidungen nachzuvollziehen. „Wir können uns den Luxus der Neutralität nicht leisten“, kommentierte Hüseyin Bagci, Professor für internationale Beziehungen an der renommierten Middle-East Technical University die Entscheidung des Sicherheitsrats. Sein Kollege Ilter Turan von der Bilgi-Universität stellte klar: „Die guten Beziehungen zu den USA zu riskieren, ist für die Türkei noch nicht einmal denkbar.“
So werden bereits vor der Entscheidung des Parlaments Fakten geschaffen. Das Pentagon hat nach Meldungen türkischer Zeitungen mit hiesigen Baufirmen bereits Verträge im Gesamtvolumen von rund 500 Millionen Dollar abgeschlossen, um mehrere Flugplätze und Häfen den Bedürfnissen der US-Truppen anzupassen. Auch soll eine Bahnlinie vom Mittelmeerhafen Mersin bis zum irakischen Mosul für Schwertransporte nachgerüstet werden. Darüberhinaus melden türkische Zeitungen, dass 2.000 in Deutschland stationierte GIs bereits ihren Marschbefehl für die Türkei erhalten hätten.
Die türkische Regierung macht nun auch innerhalb der Nato Druck, um aus Deutschland und den Niederlanden „Patriot“-Raketen zu bekommen, die den Südosten des Landes vor möglichen Raketenangriffen aus dem Irak schützen sollen. So sehr sich Ministerpräsident Abdullah Gül und Außenminister Yasar Yakis vor zehn Tagen noch mit dem deutschen Außenminister Joschka Fischer bei dessen Besuch in Istanbul einig waren, alles zu tun, um einen Krieg zu vermeiden, sieht Ankara seine Handlungsmöglichkeiten mittlerweile als ausgeschöpft. Die öffentliche Solidaritätsadresse der acht EU-Regierungschefs an US-Präsident George W. Bush hat ein Übriges getan, um in Ankara deutlich zu machen, dass ein Antikriegskurs letztlich auch von Europa nicht gedeckt würde. Angesichts der türkischen Abhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und den zu erwartenden neuerlichen wirtschaftlichen Einbrüche bei einem Krieg gegen den Nachbarn Irak ist man dringend auf die Unterstützung der USA im IWF und den angebotenen Kompensationszahlungen von bis zu fünf Milliarden Dollar angewiesen. Darüber hinaus locken US-Abgesandte bereits mit der Aussicht auf fette Aufträge, wenn es erst einmal um den Wiederaufbau der irakischen Infrastruktur geht.
Den endgültigen Durchbruch in Ankara könnten die USA mit dem Hinweis erzielt haben, es gäbe zur Not auch andere Optionen, als in der Türkei eine Nordfront gegen Bagdad aufzubauen. Man werde überrascht sein, zitierte Turkish Daily-News anonyme Pentagon-Quellen, welches Land sich noch anbieten würde. Damit kann nach allgemeiner Einschätzung nur Syrien gemeint sein, dass angeblich bereits dabei ist, Fährverbindungen über den Tigris in den Nordirak auszubauen. Es gibt noch ein handfestes Indiz für Geheimgespräche mit Syrien: die Eisenbahnlinie von Mersin nach Mosul führt ungefähr 80 km durch Syrien. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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