Wie ein Schwalbennest

Sheila Volk kämpft gegen die schleichende Zerstörung der Paul-Roosen-Straße in St. Pauli. Vor-gründerzeitliches Wohnhaus vom Abriss bedroht. Öko-Neubau als Beruhigungspille?

von GERNOT KNÖDLER

Die Paul-Roosen-Straße ist ein buntes Stück St. Pauli. Ihre Häuser sind meist niedrig und schmal, oft vernachlässigt und lieblos modernisiert. Dafür sieht jedes anders aus: rot, blau, grün, Klinker, Stuck und Kacheln. Die Straße ist so eng, dass die Autos nur einzeln durchfahren können. Auf den Gehsteigen herrscht dauernd Betrieb.

„Das ist eine total lebendige Straße, die kein Planer so hinkriegt“, sagt Anwohnerin Sheila Volk. Doch damit könnte es bald vorbei sein, fürchtet sie. Für zwei der ältesten Häuser, die einstöckigen Nummern 11 und 13, liegen Abrissgenehmigungen vor. Ein preisgekröntes Passivhaus soll an ihre Stelle treten – in den Augen Volks ein Versuch der als Bauherrin agierenden Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg), jedem Widerstand den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In anderthalb Wochen hat Sheila Volk 800 Unterschriften gegen den Abriss gesammelt. Dabei, so sagt sie, habe sie die Unleserlichen und Unvollständigen schon ausssortiert. Vor dem Bäckerei-Imbiss schräg gegenüber der bedrohten Gebäude, wo sie ihren Kaffee zu trinken und das Treiben auf der Straße zu beobachten pflegt, spricht sie jetzt die Passanten auf den Abriss an. „Ich lerne viel durch das Unterschriftensammeln“, erzählt sie. So erfährt sie etwa, was die Leute von den Neubauten der vergangenen 20 Jahre halten: nichts.

Richtung Osten steht ein Wohnhaus mit Klinkerfassade und zwei spitzen grauen, über alle Stockwerke reichenden Erkern. Es beglückt die Flaneure mit dem großen grauen Tor einer Tiefgarageneinfahrt. An der nächsten Straßenecke steht ein dunkelroter Klinkerbau mit schwarzer, überkragender Dachhaube. Sozialer Wohnungsbau, der auch in Volks Augen einmal nötig war, von den Leuten aber als hässlich empfunden wird. Direkt neben den Abriss-Häusern schließlich steht ein nichts sagender Neubau mit gelber Klinkerfassade, bei dessen Bau auch noch mindestens ein Nachbarhaus beschädigt wurde.

Kein Wunder, dass die Anwohner Neubauten gegenüber skeptisch sind. Dabei plant die Steg das angeblich erste Passivhaus in Hamburg, das Wohnungen und Gewerberäume unter einem Dach vereint. Der Bau, der praktisch keine Heizenergie brauchen wird, hat beim ersten Hamburger Passivhaus-Wettbewerb den ersten Platz erreicht. Für Steg-Architektin Karin Dürr passt es gut in die Paul-Roosen-Straße, weil seine Fassade dreigeteilt ist und ihre Höhe variiert.

Trotzdem wäre der Neubau doppelt so hoch wie die bestehenden Gebäude und würde der gegenüber einmündenden Bleicherstraße das Licht nehmen. Es ist allerdings auf die Höhen der direkt benachbarten Häuser abgestimmt. In den Augen Volks wäre der Neubau „eine Fortsetzung des scheußlichen Nachbarhauses“, der nicht in diese Gegend passe. Mit ihm ginge ein Stück Geschichte und Atmosphäre verloren.

Architekten hätten dem Haus eine einzigartige Ausstrahlung bescheinigt. „Es ist wie ein Schwalbennest“, sagt Volk. „Nicht schön, nicht hässlich.“ Für Volk, die als einen ihrer vier Berufe „Sozialtherapeutin“ angibt, und die genau beobachtet, in welchen Ecken die Menschen miteinander sprechen und wo sich der Müll sammelt, sind es solche Häuser, die über die Lebensqualität einer Straße entscheiden.