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Archiv-Artikel

Kabel zu Echsen

Hysterisch sterile Räume, die sich selbst genügen: Fotograf Henrik Spohler bannte für die Ausstellung „0/1 – Orte des Datenflusses“ im Museum für Kunst und Gewerbe Computer-Ästhetik ins Bild

von PETRA SCHELLEN

Wenn man Sterilität als Voraussetzung für Ästhetik begreift, kann man sich in Henrik Spohlers Räumen zu Hause fühlen. Aber auch nur dann, spiegeln seine neun im Museum für Kunst und Gewerbe präsentierten Fotos doch schonungslos jenes atmosphärische Vakuum, das „0/1 – Orte des Datenflusses“ – so der Titel der aktuellen Schau – transportieren. In einem Abstraktionsgrad, der fast mystischer Überhöhung gleicht, kommen die Bilder von Computern – etwa des Frankfurter Knotenrechners DE-CIX – daher, die ein perfektes Eigenleben führen.

Das Innere eines gigantischen Rechners ist da etwa zu bewundern, der letztlich aus bekannten Formen besteht: Von ferne gleicht das Konstrukt jeder beliebigen Plattenbausiedlung: Türen und Balkons sind auszumachen, eventuell Treppen und Fenster. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass sich hier Formen eingeschlichen haben, die dem Kontext menschlichen Behaustseins entstammen; verzweifelter, unbewusster Versuch des Designers vielleicht, dräuende Virtualität durch den Rückgriff auf bekannte Formen zu kaschieren.

Eine merkwürdig hysterische Sterilität atmen all diese Orte, und zwangsläufig fühlt man sich in die Krankenhaus-artige Atmosphäre von Halbleiterwerken versetzt, wo der Mensch von den Maschinen sofort des Saales verwiesen würde, wäre er kein so nützliches Arbeitstier. Diese Räume sind sich offensichtlich selbst genug, und latent plagt den Betrachter der Verdacht, dass sich die Geräte irgendwann vom Menschen emanzipieren und eine neue Evolution starten werden.

Die Evolution des Raumbegriffs jedenfalls hat bereits begonnen: Denn fungiert ein von sterilen Schränkchen eingefasstes Quadrat sterilen Fußbodens noch als Raum im klassischen Sinne, als Menschen und Dinge konstant umgebendes Areal? Fragen, die der 1965 in Hamburg geborene Spohler seinen Bildern einbeschreibt, auf denen Kabel durch Bodenlöcher verschwinden, als nähmen sie an einer Verschwörung teil.

Unter der Erde lagert auch ein anderer Computer, durch die zentralperspektivisch längs der Decke verlaufenden Kabelbündel klar in den Untergrund verwiesen. Eine hermetische, zum konstruktivistischen Abstraktum verkommene Welt, die streng für sich behält, wem sie dient. Zugleich nutztSpohler süffisant jene kleinbürgerliche Ästhetik, die auch Peter Piller in seinen dokumentarischen Fotoserien entblößt: Wie durch Gardinen blickt man durch eine weißmaschig verdrahtete Tür, hinter der Kabel miteinander kommunizieren; Voyeuristenblick ins fremde Schlafgemach.

Andererseits entzieht sich Spohlers Kabelwelt, sobald man sie zu fassen sucht: Fast monochrom weiß ist der Raum, den einzelne hauchgelbe Kabelstränge zieren; diese Welt ist in farblicher Auflösung begriffen. Und wieder spürt man die augenlose, namenlose Macht, die das Ding Computer ausübt.

Trost gibt es allerdings kaum: Zwar haben versierte Menschen all dies programmiert. Das rechte Urvertrauen scheinen aber auch sie nicht zu haben – schlössen sie die Maschinen sonst in Schränke und Schächte? Und wenn kleine, in Bodenlöcher krauchende Kabel wie Echsen durch die Gegend wuseln: Könnte dies eine Ahnung dessen sein, was in ferner Zukunft – wenn Flora und Fauna ausgerottet – mit der Vokabel „Leben“ assoziiert werden könnte?

Spohlers kühle Fotos verstecken sich auf solche Fragen nur scheinbar hinter futuristischer Ästhetik. Dahinter legen sie ganz nüchtern Machtstrukturen bloß und antizipieren eine Gesellschaft, in der es keine Ansprechpartner, keine Verantwortlichen mehr gibt. Nur noch den Fetisch.

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz; bis 30.3.