: Wo der Kumpel zum Lehrer wird
In den Glen Mills Schools beaufsichtigen sich schwierige Jugendliche gegenseitig – und sind damit ganz zufrieden. Dennoch sind die Schulen umstritten
von DIETER GLÄSENER
„Ich würde es jederzeit wieder machen.“ Kevin Schneider* meint damit nicht die Raubtaten, die ihm Untersuchungshaft einbrachten. Der heute 20-Jährige meint das Jahr, das er anschließend im amerikanischen Pennsylvania verbrachte. Hier, eine Autostunde von Philadelphia entfernt, liegen die Glen Mills Schools. Eine Einrichtung, die zwischen Schule und Jugendknast anzusiedeln ist.
Mancher in Deutschland verknüpft mit der pädagogischen Kadettenanstalt große Hoffnungen. Schwierige Jugendliche, Teenies, deren Vergehen vom regelmäßigen Schulschwänzen bis zu mehrfachen Straftaten reicht, könnten in solchen Einrichtungen erzogen werden. Nicht nur Ministerpräsident Edmund Stoiber denkt so, der im Landtag notorisch renitenten Hauptschülern die vorzeitige Beendigung der Schulpflicht androhte.
Das Konzept der Glen Mills Schools ist das „Peer-Teaching“. Altersgenossen und Mitschüler auf dem Campus beaufsichtigen sich gegenseitig. Sie können das besser als Lehrer, lautet die Theorie. Kevin bestätigt sie für sich selbst. „Ich lasse mir viel eher von einem Kumpel etwas sagen.“
Wobei ihm genau das in Deutschland zum Verhängnis wurde. Er beteiligte sich am „Abziehen“. Kids pressen sich dabei gegenseitig teure Markenklamotten ab. „Die anderen“, jammert der junge Mann, „haben mir die ganze Schuld in die Schuhe geschoben.“ So kam Kevin mit 18 ins Gefängnis. Sein Glück: Ein Sozialarbeiter stellte den Kontakt mit Petra Guder her, die bereits 1995 die ersten Deutschen nach Glen Mills brachte. Guder zählt heute zu den Befürwortern, sie ist Vorsitzende der „Glen Mills Akademie“ in Hannover.
Vierzig deutsche Jugendliche waren bisher schon „drüben“. Bezahlt wird das von den Jugendämtern bzw. der Justiz. Und zumindest für Kevin Schneider wurde der einjährige Aufenthalt zum Erfolg. Auf seiner deutschen Schule hatte er in Englisch eine 6 – in Glen Mills schaffte er es zum „Schüler des Monats“.
850 Jungs im Alter zwischen 14 und 18 Jahren sind dort untergebracht, hauptsächlich aus den USA, 6 kommen derzeit aus Deutschland. „Mir haben die festen Strukturen geholfen“, betont Kevin – angefangen vom strukturierten Tagesablauf bis zu den klaren Regeln auf dem Gelände der 1827 gegründeten Schule. Dass sich die Jugendlichen hier anpöbeln, ist genauso verpönt wie Gewalt. Darüber wachen die Schüler selbst.
Heute arbeitet Kevin als Maurer, außerhalb seines kleinen Heimatorts in Nordrhein-Westfalen. „Von meinen alten Freunden habe ich mich distanziert“, sagt er. Sein Resümee lautet: „Ich habe drüben Chancen bekommen, die ich hier nicht hatte.“
Petra Guder ist fest überzeugt, dass Glen Mills ein Erfolgsmodell ist. Es gebe dort keine, wie behauptet, Gehirnwäsche für Jugendliche. Auch von Kasernendrill könne keine Rede sein.
Augenzeugen aus den Schools geben da andere Beobachtungen wieder. Die Schüler, die über den Campus laufen, wirkten befremdlich, schreibt ein Besucher. Weil sie sich nur auf den Wegen fortbewegen, nicht rauchen, nicht rennen, nichts wegwerfen. „Man fragt sich, welches Prinzip diese ‚Marionetten‘ steuert, welche magischen Kräfte über 800 junge Straftäter scheinbar reibungslos im Zaun halten.“
Zu einem eindeutigen Ergebnis kam der Gast genauso wenig wie das Deutsche Jugendinstitut in München, das versuchte, Glen Mills wissenschaftlich zu evaluieren. Die renommierten Forscher, die im Auftrag des Familienministeriums arbeiteten, scheiterten schon am Einfachsten: dem Besuch. Empört notieren sie in ihrem Bericht, dass die Ablehnung die Frage provoziert, „ob es sein kann, dass Jugendliche unter heiklen Bedingungen in Einrichtungen geschickt werden, die nur von überzeugten Protagonisten besucht werden können“.
So skeptisch sind nicht alle Experten. Karl Antoni, ein Berliner Praktiker der Jugendarbeit mit Schulverweigerern, gefällt bei dem Konzept von Glen Mills, dass hier großer Wert auf Strukturen und Regeln gelegt wird. In seinem Projekt „Arbeiten und Lernen“ verfolgt er einen ähnlichen Ansatz. „Wir versuchen nicht nur, den Schülern eine klare Struktur zu geben, wir arbeiten mit ihnen auch an einem Projekt – etwa der Herstellung von Gartenstühlen.“
Einen gravierenden Unterschied sieht der Sozialarbeiter und Lehrer allerdings zu Glen Mills: die Isolation: Die Schulen seien ein abgeschlossenes, inselhaftes Gelände. „Auffällig gewordene Jugendliche sollten jedoch nicht ins Abseits bugsiert werden.“
* Name von der Redaktion geändert