: Der Run auf Kenias Grund- und Hauptschulen
Präsident Kibaki löst sein Wahlversprechen ein und schafft Schulgebühren ab: Zwei Millionen Erstklässler stürmen in Kenia die Schulbänke
NAIROBI/NANYUKI dpa ■ Wanjikus größter Traum ist wahr geworden: Stolz spricht das kleine Mädchen aus Kenia ihrer Lehrerin das Alphabet nach. Dass sich die Zwölfjährige mit lauter Fünfjährigen auf die viel zu enge Bank der Grundschule von Nanyuki quetscht, ist ihr gleich: „Ich bin das sechste Kind eines Bauern. Er hatte nicht genug Geld, um mich zur Schule zu schicken“, sagt sie.
Doch dann kam der Regierungswechsel in Kenia: Sein Versprechen der gebührenfreien Grund- und Hauptschulbildung löste Präsident Mwai Kibaki als Erstes ein. Die Umsetzung ist schwierig, denn nun rennen lernbegierige Kinder den Schulen die Türen ein. Es fehlt an Gebäuden, Lehrern und Büchern.
Wanjiku ist nach Schätzungen des kenianischen Vertreters des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Nicholas Alipui, nur eine von zwei Millionen Erstklässlern, die seit Beginn des Jahres die Schulbänke stürmen. Mit den bisherigen rund sechs Millionen Grundschülern bringen sie die rund 18.000 kleinen Grundschulen des Landes zum Bersten. Weitere eineinhalb Millionen Kinder stehen vor den Toren Schlange. Um den überwältigenden Ansturm abzuwehren, haben viele Schulleiter sie ihnen schlichtweg vor der Nase zugeschlagen. „Wir haben kaum noch Luft zum Atmen“, sagt Wanjikus Lehrerin. „Es passt kein einziges Kind mehr hier rein.“ Rund 60 Kinder drängen sich auf den einfachen Holzbänken des kleinen Lehmgebäudes am Mount Kenya, das eigentlich für die Hälfte ausgelegt war. Wasser und Strom gibt es nicht. Bücher können sich die wenigsten leisten. „Die Lokalpolitiker haben uns vertröstet“, erklärt ein Vater. „Zunächst müssen wir die Bücher selber kaufen, später sollen auch sie gestellt werden.“ So lange wird improvisiert. Und sei es im Lehmboden, der im Schatten eines Baumes als „Schreibheft“ dient.
Eine Einsatztruppe des Erziehungsministeriums sucht nun überall im Land nach Möglichkeiten, um den Bildungshunger stillen zu können. „Wir versuchen, die Schülerströme gleichmäßig in die vorhandenen Schulen zu lenken und notfalls Behelfsräume einzurichten“, erklärt eine Mitarbeiterin des Ministeriums in der Hauptstadt Nairobi. Nach Berechnungen der Regierung mangelt es dafür jedoch an 35.000 Lehrern – die Lehrergewerkschaft spricht von doppelt so vielen.
Ihre qualifiziertere Ausbildung sowie die Instandsetzung der in der Regel völlig heruntergekommenen Schulen wird weit mehr als das Drittel des Staatshaushalts verschlingen, das die vorangegangene Regierung der Schulbildung eingeräumt hat. Experten veranschlagen für die frisierte Bildungspolitik mindestens 820 Millionen US-Dollar. Organisationen wie Unicef haben bereits ihre Unterstützung zugesagt.
„Die neue Bildungsinitiative ist ein Meilenstein. Wir sind beeindruckt, mit welcher Entschlossenheit die kenianische Regierung ihr Vorhaben umsetzt“, sagt Unicef-Repräsentant Alipui. „In drei Monaten“, hofft er, „wird jedes kenianische Kind, das will, zur Schule gehen.“
20 Jahre, nachdem der ausgeschiedene Präsident Daniel arap Moi mit der Einführung hoher Gebühren mindestens ein Drittel der Kinder seines Landes vom Unterricht ausschloss, nähert sich Kenia nun dem Ziel eines Weltbildungsforums in Senegals Hauptstadt Dakar vor drei Jahren an: Es sieht Schulbildung für alle bis zum Jahr 2015 vor.
ANTJE PASSENHEIM