: Der große Ausverkauf
Die Privatisierung öffentlichen Eigentums ist zum Heilmittel gegen Staatsverschuldung geworden. Werner Rügemer zeigt die Folgen
VON TIM ENGARTNER
Die neue Zauberformel der Privatisierer heißt Public Private Partnership (PPP). Was nach Partnerschaft auf Augenhöhe klingt und als Heilmittel gegen wachsende Staatsschulden gepriesen wird, erweist sich bei näherer Betrachtung als eine besonders fatale Variante des (Aus-)Verkaufs staatlichen Eigentums.
Eine lesenswerte Darstellung dieser Form staatlicher Selbstentmachtung liefert der Philosoph und Privatisierungsexperte Werner Rügemer mit seinem neuen Buch „ ‚Heuschrecken‘ im öffentlichen Raum“, in dem er erläutert, weshalb Städte und Gemeinden immer mehr Aufgaben per Public Private Partnership an Private übertragen. Beliebte PPP-Objekte sind Krankenhausgebäude (Dortmund, Gießen, Leipzig), Justizvollzugsanstalten (Burg, Hünfeld, Offenburg), Rat- und Kreishäuser (Esslingen, Gladbeck, Heidelberg, Köln, Ludwigsburg, Unna), Finanz- und Justizzentren (Heidelberg, Kassel, Wiesbaden) sowie Badeanstalten und Bildungseinrichtungen. Der Investor übernimmt nicht nur den Bau des Projekts, sondern trägt auch die Verantwortung für Planung, Finanzierung und Betrieb. Im Gegenzug zahlt der Staat Miete – meist über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren, was angesichts der durchschnittlichen Lebensdauer öffentlicher Gebäude absurd anmutet.
Fakten- und facettenreich schlägt der Autor den Bogen über den Ärmelkanal zu dem weltweit größten PPP-Projekt: der Sanierung der Londoner U-Bahn. Gegen den Widerstand der Stadtverwaltung vergab die Regierung Blair den Betrieb der „Tube“ an zwei private Konsortien. „Es wurde vereinbart, dass die beiden Firmengruppen die 275 Stationen, das Streckennetz, die Tunnels, Depots, Signal- und Gleisanlagen erneuern und bis 2032 in Schuss halten.“ Im Gegenzug sollten die „Investoren“ von der Stadt 44 Milliarden Euro erhalten – zahlbar in monatlichen Raten. Bereits nach weniger als einem Jahrzehnt erwies sich dieser vermeintlich raffinierte Schachzug als folgenschwere Fehlentscheidung: In London fährt die weltweit teuerste U-Bahn, die Betreibergesellschaft Metronet musste vergangenes Jahr Insolvenz anmelden, und der Staat muss – wie so häufig, wenn der Markt versagt – für sämtliche Schulden aufkommen.
Auch hierzulande öffnet der Staat privaten Investoren Tür und Tor. Nach dem „PPP-Beschleunigungsgesetz“ sind diese von der Grundsteuer befreit, wenn sie Grundstücke erwerben, um darauf Schulen oder Rathäuser zu errichten. Auch ein Nachweis über das vorhandene Eigenkapital ist nicht erforderlich, so dass die flächendeckende Ausdehnung dieser Geschäftspraktik nicht verwundert. In Offenbach betreibt ein privates Konsortium 90 Schulen. Gab der Landkreis vor der Privatisierung etwa 30 Millionen Euro pro Jahr für die Schulen aus, muss er mittlerweile fast die doppelte Summe aufbringen – mit steigender Tendenz. Vereinbart wurde ferner eine „Forfaitierung mit Einredeverzicht“, was bedeutet, dass der Landkreis sich dazu verpflichtet, „keine Einrede bei Mängeln zu üben und die Miete in jedem Fall vollständig und pünktlich zu bezahlen“.
Die Beispiele zeigen, dass sich Werner Rügemer nicht in abstrakten, theoretischen Darstellungen verliert, sondern die schleichende „Selbstentmachtung des Staates“ anschaulich zu schildern weiß. Die verständliche Darstellung der Sachverhalte steht in dabei in Kontrast zu den komplexen PPP-Vertragswerken, die nicht selten mehrere tausend Seiten umfassen. Dahinter verbergen sich zum Beispiel Vereinbarungen der Vertragsparteien, im Streitfall nicht die ordentliche Gerichtsbarkeit zu bemühen, sondern sich an ein Schiedsgericht zu wenden. Neben diese „privatisierte Geheim-Justiz“ tritt eine weitere Form der Entdemokratisierung, denn „die Geheimhaltungspflicht der Minister, Kämmerer, Oberbürgermeister und Landräte, die die Verträge für die öffentliche Seite unterschreiben, besteht nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber den gewählten Abgeordneten“.
Die im Verwaltungsdienst tätigen Juristen haben mit komplexen Vertragswerken dieser Art kaum Erfahrung – und sind in der Regel überfordert, wenn ihnen hoch spezialisierte Kapitalgesellschaften als Geschäftspartner gegenüberstehen, die sich von international tätigen Anwaltskanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer und den Big Four der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (KPMG, Deloitte, PricewaterhouseCoopers, Ernst & Young) beraten lassen.
Der Ausverkauf öffentlichen Eigentums durch PPP-Projekte folgt einer einfachen Logik: Auf der einen Seite stehen Politiker, die sich während ihrer Amtszeit trotz klammer öffentlicher Kassen finanzielle Handlungsspielräume eröffnen wollen (und somit langfristige Fehlentwicklungen ausblenden). Dabei treffen sie in Zeiten stark volatiler Aktienmärkte auf Banken und Baukonzerne, „die sich neue, großvolumige und zugleich sichere Geschäfte mit staatlicher Rückendeckung erschließen wollen“. Sie profitieren von diesen langfristigen und risikolosen Einnahmen vor allem deshalb, weil diese vom ersten Tag an verkauft beziehungsweise beliehen werden können.
Aus diesem Grund und weil die amtierende Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zu „Öffentlich-Privaten Partnerschaften“ zu verstehen gibt, dass ihr „gescheiterte PPP-Projekte nicht bekannt“ seien, muss davon ausgegangen werden, dass die Kapitalschöpfung für Private auf absehbare Zeit kein Ende finden wird – und damit auch die öffentlichen Haushalte weiter geplündert werden.
Werner Rügemer: „ ‚Heuschrecken‘ im öffentlichen Raum. Public Private Partnership. Anatomie eines globalen Finanzinstruments“. Transcript, Bielefeld 2008, 172 Seiten, 16,80 Euro