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Archiv-Artikel

Bakterien als Spaßbremsen

Nach dem Babyschwimmen können Säuglinge Durchfall oder Ohrentzündungen bekommen. In Deutschland ist das Wasser nämlich zu wenig gechlort, um Keime sicher abzutöten. Mehr Chlor ist aber keine Lösung. Es fördert Asthma und Allergien

VON MARTINA JANNING

Annalena hat die Augen weit aufgerissen. Ihre Mutter hält das vier Monate alte Mädchen mit beiden Händen und bewegt sie sanft im 33 Grad Celsius warmen Wasser hin und her. Annalena ist das erste Mal beim Babyschwimmen und es scheint sie vor allem zu irritieren. Keine ungewöhnliche Reaktion. Die Kleinen müssen sich erst an das Wasser gewöhnen, weiß die Berliner Schwimmtrainerin Brigitte Domke. „Beim ersten Mal ballen die Säuglinge ihre Hände fest zu Fäusten.“ Aber sobald ihnen das nasse Element vertraut wird, öffnen sich die kleinen Hände und die Mädchen und Jungen entspannen. Die meisten Kinder und ihre Eltern entwickeln dann große Freude am Babyschwimmen. Diesen Spaß möchte Joachim Heinrich den Familien ungern verderben, sagt der Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum München: „Doch es gibt einige Befunde, die Babyschwimmen in einem neuen Licht erscheinen lassen.“

Heinrich und seine Kollegen haben über 2.000 Kinder untersucht und festgestellt: Babys, die in ihrem ersten Lebensjahr Schwimmbädern besuchen, entwickeln öfter Magen-Darm-Infektionen und Mittelohrentzündungen. „Diese Kinder haben ein um 40 Prozent höheres Risiko, an einer Darminfektion zu erkranken, als ihre Altersgenossen, die nicht schwimmen waren“, berichtet Heinrich. Ein ernster Befund. Denn bei Säuglingen sind Durchfall und Ohrentzündungen Leiden, die oft mit Antibiotika behandelt werden müssen.

Die Experten führen die erhöhte Zahl an Infektionen auf Keime im Wasser zurück. Um ganz sicher zu gehen, seien aber weitere Studien nötig, sagt Heinrich. Das Ergebnis hatte die Wissenschaftler überrascht, eigentlich waren sie angetreten, um etwas ganz anderes zu untersuchen. Auslöser für ihre Forschung waren mehrere Studien aus Belgien, die zeigen, dass Babyschwimmen die Lungen von Kindern schädigen kann. Bei Zehnjährigen, die als Säuglinge regelmäßig am Babyschwimmen teilgenommen hatten, fanden Wissenschaftler erhöhte Asthmaraten gegenüber Gleichaltrigen. Und Jugendliche, die im Laufe ihres Lebens mehr als 500 Stunden in Freibädern zugebracht hatten, wiesen ein dreimal höheres Risiko für Asthma auf als gleichaltrige Schwimmmuffel.

Schuld ist das Chlor. Das Desinfektionsmittel reagiert mit Ausscheidungen wie Urin, Schweiß und Hautschuppen. Dabei entstehen Produkte wie Trichloramin, das quasi als Gas auf dem Wasser schwimmt. Es wird von den Badenden eingeatmet und begünstigt die Entwicklung von Asthma und allergischen Erkrankungen wie Heuschnupfen. Diesen Zusammenhang wollten die Münchner Forscher für Deutschland überprüfen. Sie fanden jedoch keine Beziehung zwischen frühkindlichem Schwimmbadbesuch und atopischen Erkrankungen wie Asthma und Allergien bis zum Alter von sechs Jahren. Offenbar ist die Chlorkonzentration in deutschen Schwimmbädern zu gering; in Belgien ist ein zehnfach höherer Grenzwert für Chlor erlaubt als hierzulande. „Das macht das Wasser in Belgien sicher gegenüber Keimen, aber unsicher gegenüber Atemwegserkrankungen und Allergien. In Deutschland ist es umgekehrt“, sagt Heinrich.

Der Umweltwissenschaftler rät Eltern, mit ihren Kindern erst nach dem ersten Lebensjahr zum Babyschwimmen zu gehen. Vorher seien die Lungen und das kindliche Immunsystem noch nicht vollständig ausgeprägt und die Kinder anfälliger für Infektionen. Heinrich: „Wir möchten Eltern nicht verunsichern, aber sie sollten die Gefahren von Babyschwimmen kennen und abwägen, ob der Nutzen die Risiken überwiegt oder nicht.“

Es sei nicht erwiesen, dass frühe Badbesuche weniger wasserscheu machen, gibt Heinrich zu bedenken. Babys können auch noch nicht schwimmen lernen. Das sei erst ab etwa vier Jahren möglich, sagt Schwimmlehrerin Domke. Vorher geht es nur um Spiel und Spaß. Letzteren hat nun auch Annalena. Das kleine Mädchen lacht, schlägt mit ihren Armen ins Wasser und strampelt mit den Beinen. „Der Wasserdruck massiert die Haut“, erklärt Domke. Außerdem stimuliere das Wasser die Sinneswahrnehmung und Bewegungsfähigkeit. „Das kann Haltungsschäden wunderbar ausgleichen“, berichtet die Trainerin. „Die Kinder tragen zwar eine Schwimmwindel, können sich aber trotzdem viel freier bewegen als an Land.“

Ein Kind kann am Babyschwimmen teilnehmen, „sobald der Schluck-, Husten- und Niesreflex vorhanden ist“, sagt Domke. Außerdem muss der Säugling den Kopf heben und halten können. Kinder, die sehr anfällig für Infekte sind, sollten nicht ins Schwimmbad gehen. Die Babyschwimmkurse von Brigitte Domke im Berliner St.-Gertrauden-Krankenhaus finden in Ozon-Wasser statt. So könnten sogar Kinder mit Neurodermitis teilnehmen. „Ozon belastet Haut und Atemwege weniger als Chlor“, erklärt die Schwimmlehrerin. Ob eine Ozon-Desinfektion Krankheitskeime sicherer abtötet als Chlorgas, ist unbekannt – die Wissenschaftler vom Münchner Helmholtz-Zentrum haben das nicht untersucht. Das Wasser im Gertrauden-Krankenhaus überwachen die Behörden aber ebenso streng wie in öffentlichen Bädern, in denen Babyschwimmen angeboten wird. Domke rät Eltern allerdings, mit ihrem Kind nur ins Wasser zu steigen, wenn die Hygiene im gesamten Bad stimmt.