: „Die Banken verkriechen sich“
Münchhausen, das Finanzsystem und warum Vertrauen so wichtig ist: Gesellschaftsforscher Guido Möllering über die Psychologie der Krise
GUIDO MÖLLERING arbeitet am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Er machte seinen Betriebswirt an der FH Münster und promovierte später an der Uni Cambridge.
taz: Herr Möllering, Sie sind Vertrauensforscher.
Guido Möllering: Nein, Betriebswirt. Aber ich habe mich intensiv damit befasst, welche Rolle Vertrauen für die Funktion von Märkten und Unternehmen spielt.
Und?
Kurz gesagt: Vertrauen ist unverzichtbar.
Wie beurteilen Sie die verzweifelten Versuche, das Finanzsystem zu retten?
Das erinnert mich stark an den Baron Münchhausen. Der wollte sich auch am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Eigentlich ist es unmöglich, ein Märchen. Aber wenn alle daran glauben, dann kann es tatsächlich klappen – auch im richtigen Leben. Vertrauen ist immer Glaubens- und Willenssache. Es ist wichtig, dass alle relevanten Akteure zeigen, dass sie unbedingt die Stabilität des Systems zurückgewinnen wollen.
Aber ist es nicht naiv und gefährlich, zu glauben, man könne Vertrauen künstlich erzeugen?
Viel gefährlicher ist es, wenn kein Vertrauen mehr da ist oder gar Misstrauen herrscht. Das erleben wir doch gerade. Stellen Sie sich mal vor, was passieren würde, wenn wir alle zur Bank rennen und unser Geld holen.
Völliges Misstrauen! Ganz allgemein: Wie schafft man Vertrauen?
Einerseits durch Offenheit und durch Verantwortungsbereitschaft andererseits. Man muss gegenseitig Freiräume anerkennen und darf sie nicht missbrauchen. Das schafft Vertrauen. Schon ein Handschlag bei der Begrüßung sagt: „Wir lassen uns aneinander heran und tun uns nichts.“ So kann sich Vertrauen weiter aufbauen. Die beste Vertrauensquelle sind positive Erfahrungen und frühere erfolgreiche Kooperationen.
Banken und ihre Kunden machen derzeit aber gerade ganz schlechte Erfahrungen. Wie kommt da wieder ein Vertrauensaufbau in Gang?
In der aktuellen Situation möchte man sich am liebsten verkriechen – und genau das tun die Banken. Leider. Sie müssen aber wieder hervorkommen und zeigen, dass sie verantwortungsbereit sind. Die Interventionen der Staaten und Zentralbanken machen es ihnen da eigentlich gerade sehr einfach.
Was müssen die Banken tun, um aus dem Loch zu kommen?
Mittelfristig brauchen sie neue Spielregeln und andere Mechanismen, um ihre Reputation wieder zu erzeugen. Die werden nicht perfekter sein als die alten, doch wenn alle sie akzeptieren, ist die Stabilität erst einmal wieder da.
Was wäre gefährlich?
Gefährlich finde ich nach wie vor pauschale Forderungen nach „mehr Kontrolle“ und „mehr Transparenz“. Gerade dadurch wird aus organisationstheoretischer Perspektive das Misstrauen eher noch weiter zementiert. Auch die Forderung nach Strafen für die Manager greift zu kurz. Etwas mehr Druck kann wohl nicht schaden. Doch Vertrauen kann nicht erzwungen werden.
Was sollten die Banken tun, um das Vertrauen ihrer Kunden zu gewinnen?
Sie sollten offen über die Konsequenzen der Krise informieren, zukünftig ihre Produkte besser erklären und dabei auch nicht verschweigen, womit die Bank selbst eigentlich ihr Geld verdient.
INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER