: „Ein Frankenstein-Syndrom“
Dieter Birnbacher ist Bio-Ethiker und Tierschützer. Trotzdem hält er die Beendigung der umstrittenen Bremer Makakenversuche nicht für geboten – und sieht die lokalpolitisch erhitzte Debatte vor allem als Symptom einer Entfremdung zwischen Gesellschaft und Wissenschaft
Die Bremer Gesundheitsbehörde hat dem Neurobiologen Andreas Kreiter am 2. Oktober mitgeteilt, er werde keine weitere Genehmigung für Messungen am Hirn von Makaken erhalten. Diese halte man im Sinne des Tierschutzgesetzes für ethisch nicht vertretbar. Kritiker werfen der Behörde nun vor, das Grundrecht der Forschungsfreiheit zu beschneiden. Tatsächlich entspricht ihr Votum einem erklärten Ziel des rot-grünen Koalitionsvertrages und einem einstimmigen Bürgerschaftsbeschluss aus dem Jahr 2006: Forschungsmethoden und -inhalte dürfen aber infolge besagten Grundrechts kein Gegenstand politischer Entscheidungen sein – auch wenn sie ein offenkundiges Politikum sind. Im Falle Kreiters gilt das schon für die Berufung: Als er vor zehn Jahren mit Unterstützung von Bürgermeister Henning Scherf (SPD) an die Bremer Uni geholt wurde, sahen viele das als Bruch mit deren Traditionen und Selbstverständnis als roter Kaderschmiede. Diesen Ruf zu beseitigen war offenkundiges Ziel der damals herrschenden Großen Koalition. TAZ
INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER
taz: Herr Birnbacher, Tierschutz ist ja eine Pflicht …
Dieter Birnbacher: Auf jeden Fall! Da herrscht in der Ethik seit dem 19. Jahrhundert Einigkeit.
… und Sie würden sich selbst als Tierschützer bezeichnen?
Ja, insofern, dass ich das geltende Tierschutzgesetz in einigen Punkten für unzureichend halte. Für verschärfungswürdig, gerade im Bereich der Tierversuche.
Dann müssten Sie doch auch fürs Ende der Makakenversuche des Bremer Hirnforschers Andreas Kreiter sein?
Nein, dieser Meinung schließe ich mich nicht unbedingt an. Da habe ich ernsthafte Bedenken.
Das müssen Sie erklären. Immerhin hat der Präsident des deutschen Tierschutzbundes und Kreiter-Gegner Wolfgang Apel Sie doch extra in die Bremer Debatte eingeführt.
Ich bin zwar der Auffassung, dass gerade für Grundlagenforschung – anders als für therapieorientierte Forschung – besonders strenge Normen gelten müssen. Ich wende mich da auch gegen die Klausel des Tierschutzgesetzes, die extrem schwere Belastungen zum bloßen, wenn auch substanziellen Erkenntnisgewinn rechtfertigt.
Nun sollen die Versuche auch die Entwicklung eines epileptologischen Diagnose-Geräts voran bringen. Ändert das die Bewertung?
Damit würde sich einiges ändern, aber ich sehe Kreiters Versuche bisher als Grundlagenforschung.
Und trotzdem stehen Sie mittlerweile auf der anderen Seite der Barrikade?
Nicht mittlerweile! Auf welcher Seite ich stehe, hängt davon ab, wie man die Belastung der Makaken einschätzt. Das ist für mich ausschlaggebend. Und ich habe den Eindruck, dass die nicht besonders beträchtlich ist: Von einer Leidzufügung durch die Versuche kann nicht eindeutig die Rede sein.
Dass Kreiter Primaten verwendet, spielt keine Rolle?
Doch. Aber die Forschung steht hier in einem Dilemma. Sie muss natürlich Tiere auswählen, die dem Menschen nicht allzufern stehen, für Rückschlüsse auf dessen Gehirnorganisation. Bei Ratten, Mäusen oder Kaninchen wäre das nicht mehr der Fall. Andererseits sollte sie sich hüten, die Grenze zum Menschenaffen zu überschreiten.
Das wäre illegal. Aber wo liegt, aus Sicht des Ethikers, der wesentliche Unterschied zwischen Makaken, also Meerkatzenartigen, und Hominiden?
Die wenigen Restbestände von Menschenaffen sind bedroht. Das ist ein Argument. Zudem sehe ich auch in ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit eine klare Stufung.
Das ist purer Speziesismus!
Das ist speziesistisch, aber nicht nur: Es geht nicht um die bloße Zugehörigkeit zu einer Spezies, sondern um die Differenzen von Fähigkeiten – und der Sensibilitäten. Also weniger die kognitiven Fähigkeiten als deren Auswirkungen auf die Leidensfähigkeit.
Die Leidensfähigkeit ist der Ausgangspunkt?
Das wäre mein Maßstab der Differenzierung, ja – ganz wie im Tierschutzgesetz. Denn, warum unterscheidet das zwischen Versuchen an Wirbellosen und Wirbeltieren? Doch weil wir bei Wirbeltieren relativ sicher wissen, dass sie leidensempfindlich sind. Diese Grenze ist eine Art „Daumen“-Regel …
… die am grundsätzlichen Problem vorbeigeht: Aller Nutzen von Tierversuchen ist immer auf Seiten der Menschen, nie auf jener der leidenden Tiere. Ist das akzeptabel?
Wir maßen uns an, Tieren diese Belastung aufzuerlegen – ohne ihnen das in irgendeiner Weise zurückgeben zu können, gerade in der Grundlagenforschung. Das ist zuzugestehen. Und da sehe ich schon eine gewisse Unfairness – aber kein grundlegendes Malum. Auch bei Humanversuchen haben Versuchspersonen fast nie einen Vorteil davon.
Sie nehmen freiwillig teil …
Ja. Das können wir bei Tieren nicht gewährleisten. Das gibt der Sache eine andere Qualität.
Warum ist das dann kein grundlegendes Übel?
Es gibt zwei Aspekte, warum man Tierversuche als solche für problematisch halten kann: Das eine ist die Instrumentalisierung, die Nutzung als solche, zu der eine Zustimmung nicht gegeben werden kann. Die andere Dimension ist die Belastung, die dem Tier zugemutet wird: In der würde auch ich ein ernsthaftes Problem sehen.
Das klingt so rational – dabei werden nicht nur in Bremen die Tierversuchsdiskussionen sehr emotional geführt. Man denkt: Der arme Affe mit den großen Augen. Ist dieser Impuls nicht philosophisch stärker zu bewerten als konstruierte Legitimationen?
Ich würde mich auf meine Emotion in Sachen des Tierschutzes nicht verlassen. Auch wenn Emotionen in der Moral nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten sind: Wertung ist immer affektiv getönt.
Aber?
Gerade in der angesprochenen Form geht es um spontane Anmutungen. Und da wäre ich skeptisch, weil die sich stark nach Spezieszugehörigkeit richtet: Bestimmte Tiere haben es besonders schwer, Sympathie für sich einzunehmen – sodass sie oft in geradezu erschreckender Weise abgewertet werden.
Stimmt. Wer an die von Forschung in 100er-Chargen verbrauchten Kleinnager denkt, oder an die Millionen Tonnen verwursteter Schweine, der wundert sich über die Aufregung um Kreiters 24 Affen.
Wir haben in den verschiedenen Tierschutz-Sparten ein großes Ungleichgewicht: Die Tierversuche stehen stark im Fokus. Nach Meinung vieler Kenner gibt es aber viel gravierendere Probleme. Etwa bei der Schädlingsbekämpfung, die Tötung der – hervorragend intelligenten – Ratten. Da ist das ultimative tierschützerische Mittel noch nicht gefunden. Da wird erhebliches Leid in Kauf genommen, wenn nicht sogar beabsichtigt.
Dann erleben wir in Bremen eine Stellvertreterdiskussion?
Sie ist auf dem Hintergrund einer stark verbreiteten Wissenschaftsskepsis zu sehen, sagen wir: einem „Frankenstein-Syndrom“.
Weil man die Forschungs-Ergebnisse nicht versteht?
Vor allem das. Es ist zu einer gewissen Entfremdung gekommen zwischen Wissenschaften und Gesellschaft. Das begründet Pflichten auf beiden Seiten: Zum einen, sich der Dämonisierung und Mythenbildung zu enthalten. Aber vor allen Dingen auch zur Offenlegung der Denkweisen, die Wissenschaftler bewegt – einschließlich der emotionalen Qualität, die Forschung für die Wissenschaftler hat.
Dass Kreiter seit zehn Jahren in Bremen forscht, scheint manchen eine Ewigkeit. Aber es ist kurz im Vergleich zu über 60 Jahren Menschenaffen-Versuchen bis zur Entdeckung des Polio-Serums. Wie lange muss man auf Ergebnisse warten?
Das Polio-Beispiel ist ja größtenteils eine klinisch relevante Versuchsserie gewesen, mit einem klaren Ziel: der Entdeckung eines Impfstoffs. In der Grundlagenforschung braucht man einen noch längeren Atem. Da sind viele Variablen, sehr komplexe Systeme beteiligt. Und es besteht natürlich auch ein gewisser Ehrgeiz seitens der einzelnen Forscher, ein Gebiet abzudecken. Aber mit langen Zeiträumen arbeiten wir auch im klinischen Bereich, so bei den Bemühungen um einen Aids-Impfstoff, ganz zu schweigen von der Krebsforschung.
Die ist aber populärer.
Ja. Krebs ist natürlich eine Vokabel, die schon an sich legitimierend wirkt.
Während das Forschungsfeld Hirn besonders anfällig ist für das Frankenstein-Syndrom?
Ja, wenn es um Eingriffe ins Gehirn geht – also das, was als Tiefenstimulation diskutiert wird, bis hin zu Gehirn-Prothesen. Aber wo es um die Selbsterforschung des Menschen geht, die Aufdeckung seiner zentralnervösen Prozesse, hat diese Forschung eine beträchtliche Bedeutung. Das ist auch ein Teil unserer Selbsterforschung. Wir wollen ja zumindest ansatzweise verstehen, wie unser Gehirn es schafft, mit der Fülle seiner Aufgaben zurechtzukommen …
… wir haben aber auch Angst davor, oder?
Manche vielleicht. Ich würde gerne mehr darüber wissen.
Fotohinweis:PROF. DR. DIETER BIRNBACHER, Jg. 1946, lehrt praktische Philosophie in Düsseldorf. Zählt zu den prägenden Bioethikern im deutschsprachigen Raum.