: Der UN-Unsicherheitsrat
Die globalisierungskritische Bewegung muss endlich das oberste Friedensorgan der Vereinten Nationen unter Druck setzen, damit es seine Aufgabe wirklich erfüllt
Wer kontrolliert eigentlich den UN-Sicherheitsrat? Wer verhaftet die Repräsentanten seiner fünf ständigen Mitglieder, wenn sie andauernd und mit Vorsatz gegen Buchstaben und Geist der UN-Charta verstoßen? Diese Fragen stellen sich schon lange, allerdings hat die so genannte Irakkrise sie wieder höchst akut werden lassen.
Die internationalen Medien suggerieren, dass ein Krieg gegen den Irak im Einklang mit dem Völkerrecht stehe, wenn der Weltsicherheitsrat dem zustimme. Das ist eine gefährliche manipulative Verdrehung. Die UN-Charta, die nach dem Zweiten Weltkrieg sozusagen noch auf dem Leichenberg der Millionen von Toten verfasst wurde, verbietet Staaten jegliche Anwendung von militärischer Gewalt. Davon gibt es nur zwei Ausnahmen: Ein Staat darf sich verteidigen, wenn er angegriffen worden ist. Und der Sicherheitsrat darf ein militärisches Vorgehen gegen ein Land nur dann billigen, wenn dieses sich Angriffshandlungen oder einer Bedrohung des Weltfriedens schuldig gemacht hat.
Das Regime im Irak hat die USA weder angegriffen noch bedroht, und von einer „präventiven Selbstverteidigung“, auf die sich die US-Regierung beruft, kann nun wirklich keine Rede sein. Also verstößt ein Krieg gegen den Irak in jedem Fall gegen die UN-Charta, ob mit oder ohne neue Resolution des Sicherheitsrates. Genau genommen müsste die UNO dem Irak sogar zu Hilfe kommen und gegen die USA Sanktionen verhängen, sobald sie den Krieg beginnen.
Für den Fall, dass die Verabschiedung einer zweiten Irakresolution an einem Veto scheitern sollte, droht jedoch eine neue Gefahr: Die US-Regierung ignoriert den Sicherheitsrat fürderhin einfach – und beruft sich auf die Resolution 1441 als Kriegsgrundlage.
Dagegen ließe sich jedoch etwas tun: Die Leiter des US-Zentrums für Verfassungsrechte schlagen für solch einen Fall der faktischen Lahmlegung des Rates vor, auf die UN-Resolution 377 V zurückzugreifen („Uniting for Peace“). Sie erlaubt im Falle einer Lahmlegung des Sicherheitsrates die Einberufung einer Notgeneralversammlung der UNO. Deren Mehrheit könnte klarstellen, dass auch die erste Irakresolution keine Erlaubnis zur militärischen Gewaltanwendung gegen den Irak enthält.
Verstöße der im Sicherheitsrat repräsentierten Großmächte gegen die UN-Charta sind kein neues Phänomen: Zum Beispiel weist die Charta dem Rat die Aufgabe zu, kontinuierlich Rüstungskontrollpläne vorzulegen. Seine fünf ständigen Mitglieder – USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China – gehören aber, neben Deutschland, zu den größten Waffenexporteuren der Welt und haben somit keinerlei Interesse an Exportrestriktionen. Also verstößt der Sicherheitsrat seit 55 Jahren munter gegen die UN-Charta.
Im Falle des Irak sieht sich die Weltgemeinschaft nun mit der perversen Tatsache konfrontiert, dass fast exakt dieselben Staaten, die die Diktatur seit den 70er-Jahren aufgerüstet und stark gemacht haben, sie nun per Krieg „abrüsten“ wollen. Es waren Firmen aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China und Deutschland, die Saddam Hussein mit ABC-waffenfähigen Komponenten aller Art beglückten.
Was hat also aus dem UN-Sicherheitsrat einen Un-sicherheitsrat gemacht?
Erstens: die Dominanz der Großmächte. Das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder mag im Kalten Krieg friedenserhaltend gewesen sein, aber es enthält eine „strukturelle Verachtung“ gegenüber dem nicht vertretenen Lateinamerika und Afrika sowie eine antidemokratische Entwertung der zehn wechselnden nichtständigen Mitglieder, die immer nur zwei Jahre lang im Sicherheitsrat vertreten sind.
Zweitens: die Ausgrenzung der Frauen und der Zivilgesellschaften. Es ist keine Nebensächlichkeit, dass der Sicherheitsrat die letzte Bastion undemokratischer Männermacht ist, wie Pam Spees vom Women’s Caucus for Gender Justice kürzlich befand. Frauen sind sicherlich nicht qua Biologie die besseren Menschen, aber sie sind qua Rolle kreativer in zivilen Konfliktlösungen, was sich an ihrer Dominanz in den weltweiten Friedens- und Menschenrechtsorganisationen zeigt. Doch die Stimme der von ihnen repräsentierten Zivilgesellschaft wird im Sicherheitsrat einfach nicht gehört. Nur einmal im Jahr, wenn sich die Verabschiedung der „Frauen“-Resolution 1325 jährt, die die Einbeziehung von Frauen auf allen Ebenen von Friedensprozessen und UN-Friedensmissionen fordert, setzt sich der Sicherheitsrat als pompös-peinlicher Frauenförderverein in Szene. In immergleichen Reden betonen die Schlipsträger, wie wichtig die Frauen für die Demokratie und den Frieden seien.
Drittens: die Ruinierung der selbst gesetzten Werte durch Doppelmoral. Es gibt bleischwere Resolutionen des Sicherheitsrats wie Nr. 1441 zum Irak, und es gibt federleichte wie diejenigen, die Israel zum Rückzug aus den besetzten Gebieten auffordern – Verstöße dagegen haben keinerlei Konsequenzen. Menschenleben haben eben in bestimmten Ländern einen ungleich höheren Wert als in anderen.
Diese Desavouierung der westlichen Werte von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten dürfte mehr Hoffnungslosigkeit und Terror produziert haben als hunderte fundamentalistische Koranschulen zusammen. Zugespitzt formuliert, wird hier regelrecht mit Menschentötungslizenzen gedealt. Motto: Wenn die USA gefangene Taliban folterähnlichen Zuständen aussetzen, darf Russland weiter Kriegsverbrechen in Tschetschenien begehen. Wenn die einen den Irak angreifen, kriegen die anderen dort auch Ölförderrechte.
Aus alldem folgt: Die internationale Zivilgesellschaft muss den UN-Sicherheitsrat unter Dauerstress setzen. Rund 60 Teilnehmerinnen eines internationalen Workshops, der von der Frauenaktion Scheherazade und der Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet wurde, haben deshalb bereits im September 2002 einen „Weltfrauensicherheitsrat in Gründung“ ausgerufen. Er soll drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: den UN-Sicherheitsrat kritisch beobachten, als „alternativer“ oder „oppositioneller“ Sicherheitsrat die Stimmen der Frauen hörbar machen und neue zivile Konfliktlösungen entwickeln.
Auch auf nationaler Ebene entwickelt sich nun eine ähnliche Initiative. NGO-Aktivistinnen und Friedensforscherinnen haben Mitte Januar beschlossen, einen Frauensicherheitsrat oder runden Tisch einzurichten, der die deutsche Außenpolitik während der zweijährigen Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat kritisch begleitet.
Dieser Frauenrat soll allen mit Sicherheit und Frieden befassten Frauenorganisationen offen stehen und „Gender“-Fragen im Sicherheitsrat thematisieren. Denn auch hier gilt: Ohne Druck von unten wird sich hier nichts bewegen. UTE SCHEUB