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die stunde der siegertränen von WIGLAF DROSTE

Nachdem im Januar 1986 die bemannte Raumfähre „Challenger“ kurz nach dem Start explodiert war, fragte Arnulf Rating von den „Drei Tornados“ das Publikum: „Warum werden in Weltraumraketen keine Sitzplätze mehr eingebaut?“ Und blieb die Antwort nicht schuldig: „Die zwei Minuten kann man auch stehen.“

Die Zuhörer vereisten – und verharrten in Ratlosigkeit. Sie liebten die anarchischen Späße der „Drei Tornados“, ihre wüsten Attacken auf den herrschenden Geschmack – aber das? Ging das nicht zu weit? Durften die das? Und vor allem: Durfte man selber darüber lachen? War da nicht eine Grenze überschritten? Aber hatte man nicht andererseits selber stets nach Grenzüberschreitung gerufen? O hümmsendrümmsen, was tun? Erst mal die Lage peilen, erst mal zum Nachbarn rüberkucken, jetzt bloß nichts falsch machen. Der Saal blieb stumm, der Common Sense war gerettet auf Kosten einer Pointe, die als geschmacklos geächtet wurde, weil sie ihrem Publikum haushoch überlegen war.

17 Jahre später fallen wieder Wrackteile einer verunglückten US-Raumfähre vom Himmel. Eine so günstige Gelegenheit, die Erde zu einem runden Trauerkloß zu formen, kann nicht ausgelassen werden, und so gibt es ein paar frisch gebackene Helden mehr auf der Agenda. Zu zeigen, dass einem Menschenleben nicht egal sind, wäre eine Sache, pathetisches Tremolieren ist eine andere. Hier erinnern die amerikanischen Trauerprofis unangenehm an ihre deutschen Kollegen: Sie hinterlassen stets den Eindruck, es gehe niemals um Menschenleben an sich, sondern ausschließlich um die eigenen, um nationale Menschenleben. Während die Insassen dessen, was in der deutschen und der amerikanischen Binnenwahrnehmung bloß als Rest der Welt vorkommt, nicht einmal den Marktwert haben, den man dem sprichwörtlichen Sack Reis in China zuerkennt, wird der Arbeitsunfall einiger Nasa-Angestellter in den Rang eines Weltvolkstrauer- und Heldengedenktags erhoben. Das martialische, staatlich verhängte und medial verstärkte Kondolenzgedröhne hat nichts mit privater Trauer zu tun, über die es kein Wort zu verlieren gäbe.

Mit den Amerikanern in der Welt ist es wie mit Bayern München im Fußball: Man möchte sie einfach verlieren sehen. Sie haben zu oft gewonnen, sie sind zu reich und zu angeberhaft, die Selbstverständlichkeit, mit der sie jeden anderen von oben herab als maximal zweitrangig behandeln, kann nur zu Verdruss führen, und ihr Glaube, alles und jeden kaufen zu können, ist so breitgebissig unerschütterlich und feist, dass man ihn einfach erschüttert sehen möchte – fast egal von wem. Aber eben nur fast. Nur weil das Auftreten der Münchner Bayern widerwärtig ist, muss man nicht den Kneipenschlägern aus Kaiserslautern die Daumen drücken. Das mörderische Möllemann-Double Saddam Hussein wird nicht sympathisch, weil sein Pendant George W. Bush verbissen daran festhält, die Welt in Reich = Gut und Arm = Böse zu teilen. Krieg ist nicht Fußball, aber für beides gilt: Wenn einem zwei Übel angeboten werden, dann wählt man keins von beiden.

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