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Archiv-Artikel

Abfallprodukte der Raumfahrt

Mit der „Columbia“-Katastrophe rückt auch die Frage in den Mittelpunkt, welchen Nutzen die bemannte Raumfahrteigentlich hat. Abgesehen von den Untersuchungen zur Schwerelosigkeit ist die wissenschaftliche Ausbeute eher gering

Nebenbei entstand dann ein Abfallprodukt:das Parfüm Zen

von KENO VERSECK

Schwerkraftunabhängige Kugelschreiber, ein Weltraumparfüm, Golfbälle mit verbesserten aerodynamischen Eigenschaften, neuartige Krafttrainingsgeräte, schockabsorbierende Einlagen in Schuhsohlen, Silber-Kupfer-Elektroden zur chemiefreien Sterilisierung von Swimmingpools. Lang sind die Listen, in denen Raumfahrtagenturen wie die US-amerikanische Nasa oder die europäische ESA aufzählen, wie viele positive Auswirkungen die bemannte Raumfahrt schon überall auf der Erde hatte und wie viele Experimente bei jeder Mission von Raumfahrern unternommen werden, um Wohlstand und Lebensqualität im irdischen Alltag zu mehren.

Würden sich die Beispiele auf das Wesentliche und Wichtige beschränken, wären die Listen bedeutend kürzer. Denn tatsächlich dreht sich die Forschung, die Astronauten im All unternehmen, überwiegend um sie selbst: Wie wirkt sich die Schwerelosigkeit bei langfristigen Aufenthalten von Menschen im All auf diese aus? Wie lassen sich Knochenschwund und Muskelabbau bei Astronauten bekämpfen oder mildern? Wie können sie besser vor kosmischer Strahlung geschützt werden? Oder: Wie kann ein Feuer in einem Raumschiff am besten gelöscht werden?

Um solche Fragen ging es auch bei der Mission der verunglückten Raumfähre „Columbia“, der ersten rein wissenschaftlichen Mission eines Spaceshuttles seit drei Jahren. Die sieben Astronauten des Fluges STS-107 hatten während ihres zweiwöchigen Aufenthalts im All rund 80 Experimente durchgeführt. Die meisten beschäftigten sich entweder ausschließlich oder mindestens teilweise mit bemannter Raumfahrt. Nur eine Hand voll der Experimente dürfte jedoch tatsächlich „irdischer“ Grundlagen- und Spitzenforschung zuzurechnen sein.

So etwa gab es, wie bei den meisten bemannten Raumflügen, auch bei der Mission STS-107 Experimente zur Proteinkristallzüchtung, die sich nur über längere Zeit in der Schwerelosigkeit verwirklichen lassen und in unbemannten Satelliten so kaum möglich sind. Durch die Strukturaufschlüsselung einiger dieser Proteine, die auf der „Columbia“ wuchsen und die eine Rolle bei der Ausbreitung verschiedener Krebsarten spielen, hofften Wissenschaftler neue Behandlungsmethoden für Krebs finden zu können.

Andere Experimente beschäftigten sich mit physikalischen Grundlagen zur Erdbebenforschung, mit der Übertragung von Genen auf Kultur- und Nutzpflanzen, mit anorganischen Kristallen, die in chemischen Prozessen als Filter und Katalysatoren dienen, oder mit der Chemie und Physik von Flammen, durch die Wissenschaftler möglicherweise herausfinden, wie Verbrennungsprozesse sauberer ablaufen. Bei Erdaufnahmen des israelischen Astronauten Ilan Ramon ging es zum Beispiel um die Frage, wie Rauch- und Wüstenstaubwolken das irdische Klima beeinflussen.

Auch eine der bekanntesten Shuttle-Missionen der letzten Jahre befasste sich vor allem mit dem Astronautendasein: die Mission STS-95 im Oktober/November 1998, bei der John Glenn, der erste US-Astronaut und damals 77-jährige Senator mitflog. An seiner Person wurde untersucht, wie sich Weltraumflüge und der Aufenthalt in der Schwerelosigkeit bei älteren Menschen auswirken. Nebenbei entstand dann ein inzwischen immer wieder zitiertes Abfallprodukt: das Parfüm Zen. Die Astronauten hatten Rosen mit ins All genommen, um herauszufinden, ob und wie sich ihre organischen Eigenschaften in der Schwerelosigkeit verändern. Herausgekommen war ein neue Duftkreation.

Noch schlechter als bei den wissenschaftlichen Missionen der Spaceshuttles sieht eine Bilanz bei der Internationalen Raumstation (ISS) aus. Rechnerisch werden allein zweieinhalb der bisher jeweils drei ISS-Bewohner benötigt, um die Station am Laufen zu halten.

Nahezu alle Experimente, die bisher in der verbleibenden Zeit durchgeführt wurden, dienten der Erforschung der bemannten Raumfahrt. Das Interesse anderer Wissenschaftler oder der Industrie ist eher gering. Eine Reihe unabhängiger Experten kam zu dem Schluss, dass die ISS bislang kein wirkliches Wissenschaftsprojekt sei.

Nicht viel anders als um die Experimente steht es auch um das, was Raumfahrtagenturen und -unternehmen dual use und Spin-off nennen. Gemeint ist damit der Technologietransfer von der Raumfahrt auf Anwendungen in der irdischen Industrie durch Parallelnutzungen und Nebenprodukte. Seit knapp 15 Jahren betreibt beispielsweise die ESA ein „Technologietransfer-Programm“, das künftig helfen soll, den Haushalt der europäischen Raumfahrtagentur aufzubessern.

Weitergegeben an die Industrie hat die ESA bisher vor allem Materialien oder Technologien, die nichts oder nur bedingt mit bemannter Raumfahrt zu tun haben, wie etwa feuerfeste Materialien, Software und Radargeräte. Technologische Highlights: Hilfe für Blinde durch Satellitenleitsysteme oder eine Kamera, die im Weltall harte Röntgenstrahlung filmen, aber auch zur Früherkennung von Krebs verwendet werden kann.

Aus dem Bereich der bemannten Raumfahrt führt die ESA stolz an, dass der Rallyefahrer Henri Pescarolo bei der diesjährigen Paris–Dakar-Rallye Spezialkühlsysteme aus Astronautenanzügen verwenden konnte und außerdem mit ESA-Astronautennahrung verpflegt wurde.

Auch die Nasa hat schon vor Jahren 17 „kommerzielle Raumfahrtzentren“ eingerichtet und wirbt damit, dass durch sie die in die Raumfahrt investierten Dollars wieder in die Wirtschaft zurück geführt würden.

Die „Space Technology Hall of Fame“, eine Initiative der Nasa und der US-Space Foundation, wählt seit 1988 Raumfahrttechnologie aus, die in den irdischen Alltag Eingang gefunden hat. Auch hier überwiegen – kaum verwunderlich – die Beispiele aus der unbemannten Raumfahrt.

Neben den Anwendungen der Satellitenkommunikation bei Radio, Fernsehen und GPS nehmen sich die feuerfesten Bezüge für Flugzeusitze oder die Herz-Kreislauf-Pumpe, die in Anlehnung an Spaceshuttle-Turbopumpen konstruiert wurde, eher dürftig aus.

Immerhin: Die drei berühmtesten Stoffe, die angeblich Abfallprodukte der Raumfahrtforschung waren, tauchen längst nicht mehr auf den Listen der Raumfahrtagenturen auf: Teflon gab es schon vor der bemannten Raumfahrt, Ceran wurde nicht für Raketenspitzen und Rückkehrkapseln erfunden, und Kevlar war ursprünglich als Material für Reifen und kugelsichere Westen gedacht.