: Pjöngjang droht mit Erstschlag
Nordkorea verschärft im Streit über sein Atomprogramm die Kriegsrhetorik gegenüber den Vereinigten Staaten. Pjöngjanghat nach eigenen Aussagen seine 1994 stillgelegte Atomanlage wieder hochgefahren. Die Nachbarstaaten sind besorgt
aus Tokio ANDRÉ KUNZ
In Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang wird die Bevölkerung zurzeit täglich vor US-Bombenangriffen gewarnt. Übungen für die Flucht in Bunker wurden angeordnet. In Nordkorea geht die Kriegsangst um. Der stellvertretende Außenminister Ri Pyong-gap sagte der britischen Zeitung Guardian, die USA sagten, Nordkorea sei nach dem Irak als Nächstes dran. Deshalb sei sein Land zum Erstschlag auf US-Militäranlagen berechtigt, falls die USA wie angekündigt ihre Truppen im Pazifik verstärken, sagte Ri weiter.
Das Parteiorgan Rodong Simnun drohte gestern mit einem „totalen Krieg“, falls die USA einen Überraschungsangriff auf die „friedlichen Nuklearanlagen“ des Landes starteten. Es sei dumm von den USA zu denken, die Nordkoreaner würden still mit verschränkten Armen dasitzen und warten, bis der Befehl für den US-Präventivschlag komme, schrieb das Blatt in einem Kommentar.
Vor einer allzu besorgten Reaktion auf Pjöngjangs dramatische Verschärfung der Kriegsrhetorik im Streit um sein Atomprogramm warnen Beoabachter wie der renommierte Korea-Experte der britischen Universität Leeds, Aidan Foster-Carter. Pjöngjangs Propaganda-Botschaften seien für die Bevölkerung bestimmt und zeigten kaum den Standpunkt des Regimes von Kim Jong Il. Mit den Hasstiraden auf die USA und der Kriegsstimmung werde die Loyalität zur Führung gestärkt, meint Foster-Carter. Die Welt sollte Nordkorea nach seinen Taten und weniger nach den Worten beurteilen.
Die Taten geben allerdings auch Anlass zur Sorge. So bestätigte Pjöngjang gesten, dass die Atomanlage von Yongbyon wider hochgefahren worden sei – angeblich zur Elektrizitätserzeugung. Der Versuchsreaktor mit einer Leistung von nur fünf Megawatt ist laut Experten allerdings noch nicht an das Stromnetz angeschlossen. Der Verdacht der USA, dass Pjöngjang die Anlage nicht zur Stromerzeugung, sondern für die Plutoniumproduktion nutzen könnte, wird damit erhärtet. Erst Anfang der Woche hatte die US-Regierung noch beschwichtigt, dass Nordkorea mit der Wiederaufbereitung noch nicht begonnen habe. In Yongbyon könnten 25 bis 30 Kilogramm Plutonium für vier bis fünf Atombomben hergestellt werden, falls die seit 1994 stillgelegte Anlage tatsächlich wieder in Betrieb ist.
US-Verteidigungsminister Donal Rumsfeld bezeichnete die Lage als „gefährlich“. Nordkorea solle nicht den „Fehler“ begehen, die derzeitige Konzentration der USA auf die Irak-Frage auszunutzen. Das US-Militär sei auf der ganzen Welt stationiert. Dies sei keine Drohung, so Rumsfeld, sondern nur ein Zeichen dafür, dass die USA „an mehr als einem Schauplatz“ agieren könnten.
Südkoreas Regierung reagierte ebenfalls „zutiefst besorgt“ über die Inbetriebnahme. „Wir beobachten die Situation sehr genau“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Seoul. Japans Ministerpräsident Junichiro Koizumi forderte Nordkorea zum Einlenken im Atomstreit auf. Laut der Nachrichtenagentur Kyodo erwägt seine Regierung gar eine Stationierung von zwei mit Raketenabwehrsystem ausgestatteten Ägis-Zerstörern im zwischen Korea und Nippon gelegenen Japanischen Meer.
Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana will am Sonntag nach Japan reisen, um sich mit Koizumi und Außenministerin Yoriko Kawaguchi über die Atomkrise zu beraten, teilte EU-Botschafter Bernhard Zepter gestern in Tokio mit. Noch unklar ist, ob eine EU-Delegation wie geplant Mitte Februar zur Vermittlung nach Pjöngjang reisen kann. Ähnliche Anläufe der Russen und Südkoreaner haben bislang nicht gefruchtet, da Pjöngjang nur direkt mit den USA verhandeln will.