: „Nur so stark wie die Schwächsten“
Am Sonntag jährt sich zum fünften Mal die Eröffnung des Büros des American Jewish Committee in Berlin. Zuvor wollte keine jüdische US-Organisation im Land der Judenmörder tätig sein. Vom Wirken in der Öffentlichkeit – und Korridoren der Macht
von PHILIPP GESSLER
Juden dominieren die US-Medien und bestimmen so wesentliche Züge der Politik Washingtons. Israel, als Vasall der USA, exekutiert im Namen des Zionismus im Nahen Osten die Hegemonie-Politik Amerikas. Die jüdische Ostküsten-Lobby ist aus Angst um den jüdischen Staat für einen Krieg gegen den Irak.
Deidre Berger kennt diese Vorurteile, sie muss diese Politmythen kennen. Mit einem bezaubernden Lächeln kann die Endvierzigerin die Lügen über das Judentum in den USA herunterleiern, da sie täglich mit ihnen zu kämpfen hat – in Andeutungen meist. Denn offen ausgesprochen hört sie diese bösen Klischees nur selten: Schließlich ist sie Leiterin des Berliner Büros des American Jewish Committee, dessen Eröffnung sich morgen zum fünften Mal jährt. Wenn es so etwas gäbe wie die amerikanisch-jüdische Weltverschwörung, wäre sie deren Statthalterin in der deutschen Hauptstadt.
Deidre Bergers Gesicht wird ernst, wenn sie über Vorurteile gegen Juden und die USA spricht. Denn lieber würde sie über die philantropischen Ziele ihrer weltweit engagierten Nichtregierungsorganisation sprechen, die 1906 gegründet wurde und Demokratie, Pluralismus und gegenseitiges Verstehen als Motto hat. Rund 250 hauptamtliche Mitarbeiter hat das AJC, verteilt über die Hauptverwaltung in New York und 33 andere Büros in der ganzen Welt.
Etwa 125.000 Mitglieder und Unterstützer helfen dem AJC – die braucht es, denn diese zivilgesellschaftliche Institution kommt, gut amerikanisch, ohne öffentliches Geld aus. Was Nähe zur Macht nicht ausschließt: „Das AJC setzt sich seit fast einem Jahrhundert für die Rechte der Unterdrückten ein, in den Korridoren der Macht und in der Öffentlichkeit“, lobte die Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten, Condoleezza Rice. Frankreichs Präsident Jacques Chirac nannte das AJC die „wichtigste und mächtigste jüdische Organisation in den USA“.
Ist das AJC mächtig? Deidre Berger lacht kurz auf. Der Einfluss, den das AJC etwa in der US-Regierung habe, beruhe auf „langer, harter Arbeit über mehrere Jahrzehnte“, dem „Netzwerk“ an Beziehungen und der Glaubwürdigkeit, die man sich aufgebaut habe. Zudem hätten die USA die größte jüdische Gemeinschaft weltweit (größer als in Israel übrigens). Es sei eine Minderheit von sechs Millionen, die sehr gut ausgebildet sei – mehr als 90 Prozent der erwachsenen Mitglieder hätten einen Uni-Abschluss. Zudem hätten die Juden, über Jahrhunderte abhängig von der Gunst der Herrschenden überall in der Welt, notgedrungen Interesse an der Politik und den Rechten von Minderheiten gezeigt. Man habe einen Sensor dafür entwickelt, wo Demokratie versage. Schon aus Eigeninteresse setze man sich deshalb für Bürgerrechte und Minderheiten ein: „Wir sind nur so stark wie die schwächste Minderheit“, sagt Deidre Berger, „das glaube ich leidenschaftlich.“
Als das AJC vor fünf Jahren ein Büro in Berlin eröffnete, war es die erste amerikanisch-jüdische Organisation, die diesen Schritt in das Land der Nazis und Judenmörder wagte. Das war umstritten im amerikanischen Judentum – ebenso wie unter den Juden in Deutschland, weil nicht wenige von ihnen befürchteten, nun von den großen Brüdern aus Amerika bevormundet zu werden.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass die hiesigen Juden von ihren Glaubensbrüdern und -schwestern im Ausland schief angeguckt wurden: „Wie kannst du im Land der Mörder leben?“ Doch die enge Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde der Bundesrepublik ist eines der Ziele des AJC-Büros. Und offenbar ist es so erfolgreich, dass aus der jüdischen Gemeinschaft, bis auf Kleinigkeiten, nur Positives über Deidre Berger und ihre Hand voll Mitarbeiter zu hören ist.
Das AJC versteht sich weniger als Lobbyorganisation für jüdische Interessen, sondern eher als Gesprächsforum zwischen US-Amerikanern und Deutschen, Juden und Nichtjuden. Öffentliche Tagungen, Toleranzseminare oder Besuchsprogramme in die USA oder nach Deutschland gehören dazu. Als ausländische Organisation, als Gast in Deutschland, wie Deidre Berger sagt, wolle das AJC vor allem durch das direkte, nichtöffentliche Gespräch wirken. Öffentlichkeit suche man nur, wenn andere Wege nicht mehr offen stünden: Im Dezember 1999 veröffentlichte das AJC eine Liste von deutschen Firmen, die nicht bereit waren, für den Zwangsarbeiter-Entschädigungsfonds zu zahlen. Dass nur zehn Tage später endlich eine Vereinbarung zustande kam, verbuchten viele als Erfolg auch des AJC.
Weniger erfolgreich war eine vom AJC in Auftrag gegebene Studie über die Israelberichterstattung deutscher Medien: Dem Vorwurf, viele Zeitungen würden dabei antisemitische „Diskurselemente“ verfestigen, wollte kaum jemand nachvollziehen. Der Antisemitismus, sagt Deidre Berger, nehme zwar langsam ab. Spätestens aber seit der Möllemann-Debatte des vergangenen Jahres äußere er sich unverblümter, auch in Hassbriefen an das Büro, deren Zahl erheblich stieg. Zwar stimme in Umfragen nur etwa ein Viertel der Befragten Möllemanns antisemitischen Andeutungen zu. Aber mehr als die Hälfte halte es für möglich, dass er Recht habe. Und etwa ebenso viele sagten, es sei schwer, bei dieser Frage offen zu reden. „Das ist ein Klima, das uns Sorgen macht.“
Deidre Berger blickt von ihrem Büro hinaus auf den Leipziger Platz, der vor ihren Augen neu ersteht. Der Himmel ist grau, kalt ist es draußen. An schlechten Tagen sieht sie Hinweise, dass sich antisemitische, antiamerikanische und antizionistische Tendenzen in der Bundesrepublik überschneiden, ja gegenseitig verstärken. Sie könne nur mit diesen Stereotypen umgehen und versuchen zu zeigen, wie die Realität aussieht. Es ist schwer, Demokratie, Pluralismus und gegenseitiges Verstehen zu fördern. Es derzeit nicht leicht, eine amerikanische Jüdin in Deutschland zu sein.