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Archiv-Artikel

Einkehrschwung am Fichtelberg

Immer häufiger muss Kunstschnee die Wintersport-Tradition im sächsischen Mittelgebirge fortführen. Langlaufloipen und Bier auf tschechischer Seite machen Konkurrenz. Für skisportliche Kilometerfresser bietet das Erzgebirge wenig Möglichkeiten

Kaum ein Ort, der nicht wenigstens einen kleinen Skihang eingerichtet hat

von MICHAEL BARTSCH

Im Sommer einen Ostseeplatz, im Winter einen im Erzgebirge. Der Urlaubstraum des im „Freien Deutschen Gewerkschaftsbund“ organisierten DDR-Werktätigen fand früher seine anspruchslose Erfüllung vor allem zwischen Zinnwald und dem 1.214 m hohen Fichtelberg.

Abfahrtslauf war eine Sache von wenigen Enthusiasten. Man tobte sich stattdessen mit den damals schon sehr guten „Germina“-Langlaufskiern auf ungespurten Wegen aus oder nutzte jedes Gefälle mit dem guten, alten Schlitten. Am Abend organisierte der FDGB in den stets voll belegten Urlaubersilos ein kulturelles Vollprogramm, an dem so mancher Volkskünstler sein Brot verdiente.

Nach der Wende kehrte im sächsischen Mittelgebirge zunächst schlagartig Ruhe ein. Plötzlich sah man sich der Konkurrenz von Stubaigletscher, Val Thorens oder Lillehammer ausgesetzt. Und die Tagesfreizeitsportler aus den Großstädten begannen Ansprüche zu stellen. Dem versuchten Kommunen und die neuen Fremdenverkehrsverbände auch entgegenzukommen. Loipen wurden beschildert und gespurt, in manchen Fällen wie bei der Altenberger Osterzgebirgsloipe allerdings in ärgerlicher Inkonsequenz. Dafür reicht von hier bis hinüber ins Vogtland bei Klingenthal eine landschaftlich wunderschöne Kammloipe.

Der Kahleberg zwischen Altenberg und Zinnwald, wo übrigens beim Augusthochwasser die deutschen Allzeitrekord-Niederschläge fielen, trug wegen des Schwefels aus böhmischen Schornsteinen lange Jahre seinen Namen zu Recht. Inzwischen wächst hier wieder was, die Landschaft wirkt freundlicher. Die zahlreichen Ortsloipen sind von unterschiedlicher Qualität. Johanngeorgenstadt im Westerzgebirge beispielsweise ist ein kleines Paradies. Vorbildlich auch die bei wenig Schnee bestens präparierte Holzhauer Waldloipe mit einer maximal zehn Kilometer langen Runde. Wer sie im klassischen Diagonalschritt in einer knappen Stunde schafft, darf sich getrost in einer der inzwischen zahlreichen Gaststätten der Region zuprosten. Dabei lässt sich mancher Euro sparen, wenn man kurzerhand über die am Kamm verlaufende tschechische Grenze pendelt und die nach wie vor preiswerten, oft rührend einfachen, aber mit freundlichen Menschen besetzten Kneipen aufsucht.

Skater holen sich bei Grätschversuchen auf diesen Loipen hingegen oft einen Anpfiff, und für die sportlicheren Kilometerfresser bietet das Erzgebirge auch kaum Möglichkeiten. Man muss sich dann meist in die Profi-Trainingsloipen etwa am Zinnwalder Biathlon-Stadion oder am Fichtelberg einschmuggeln – oder breit gelatschte Schneisen nutzen.

Kaum ein Ort, der inzwischen nicht wenigstens einen kleinen Skihang eingerichtet hat. Alpine Ansprüche darf man nicht stellen, aber auch die Spielzeugstadt Seiffen, Olbernhau oder Carlsfeld bieten einen kleinen Lift, und wenn die Piste auch nur einen halben Kilometer lang sein sollte. Dafür ist sie für Geisterfahrer nachts oft sogar beleuchtet.

Die zweifellos besten alpinen Bedingungen im Erzgebirge und in den ostdeutschen Bundesländern überhaupt bietet die „Doppelspitze“ Fichtelberg/Keilberg. Von Oberwiesenthal, mit 914 m höchstgelegene deutsche Stadt, führt die älteste Seilschwebebahn Deutschlands auf den Fichtelberg. Mittlerweile ist sie durch sechs Liftanlagen ergänzt worden, darunter einen Vierersessel. Auch wenn die Pisten auf den 300 Metern Höhenunterschied nichts Sensationelles bieten und mit Ausnahme der Steilpiste unter der Schwebebahn kaum in den rötlichen Bereich hineinreichen, sind sie sogar Tagesgästen aus Leipzig oder Dresden die Anreise wert.

Mit 19 Euro in der Hauptsaison kann die Tageskarte noch als preiswert gelten. Die Zeit, da man in den ehemaligen FDGB-Silos für kaum 20 Mark nächtigen konnte, geht allerdings zu Ende. Auch auf der tschechischen Seite haben die Preise angezogen. Boží Dar ist fast vollständig deutsch okkupiert, da bleiben Essen und Quartiere nicht so billig wie talabwärts. Die Pisten vom 1.244 m hohen Keilberg herab sind anspruchsvoller und interessanter, wenn auch manchmal nicht so gepflegt. Für die Wartung der Liftanlagen gilt Ähnliches. Wie in manchem harmonisch gewachsenen Alpendorf auch bietet das Erzgebirge nach Ortsbild und Mentalität der Bewohner ein typisches, heimeliges Flair. Durchkommerzialisiert ist der Tourismus hier noch nicht.

Er bekommt allerdings auch ein zunehmendes Problem mit dem Klimawandel, der hier wie in kaum einer anderen deutschen Region spürbar ist. „Seit den Fünfzigerjahren ist die Durchschnittstemperatur um 2 Grad angestiegen“, bestätigt Professor Jörg Matschullat von der Bergakademie Freiberg Beobachtungen vor Ort.

Die Oberwiesenthaler Tourismus- und Veranstaltungsgesellschaft dramatisiert nicht, sieht aber einen deutlich verzögerten Saisonbeginn. Hier wie an immer mehr Skiorten muss die Schneekanone die Investitionen und das Urlaubervergnügen retten. So auch in Rehefeld im Osterzgebirge, wo der 1992 gebaute Doppelsessel so ziemlich „das Einzige ist, was die Gemeinde zu bieten hat“, sagt Betriebsleiter Herbert Wolfram. Er beobachtet auch heftigere Wetterextreme und eine ins Frühjahr verlagerte Saison.

Wenn es für die Abfahrt nicht reicht, kann man immer noch auf den Schlitten umsteigen. Zahlreiche Naturrodelbahnen in Rehefeld, Klingenthal und anderswo laden zum Familienvergnügen ein. Bei Altenberg gibt es nicht nur zwei Amateurbahnen, sondern auch einen inzwischen weltbekannten 1.412 Meter langen Eiskanal. Was daran erinnert, dass Sachsen und das Erzgebirge nicht nur zahlreiche Profi-Wettkampfstätten besitzen, sondern auch eine Reihe von Spitzensportlern hervorgebracht haben. In den Sechzigerjahren waren die Oberwiesenthaler Rennrodler Ilse Geisler, Ortrun Enderlein und Thomas Köhler weltweit unschlagbar, Sylke Otto stand den Heroen in den letzten Jahren kaum nach.

In Oberwiesenthal ist auch Jens Weißflog zu Hause, der erfolgreichste Skispringer aller Zeiten, der 1996 seine Laufbahn beendete. Vierfacher Sieger der Vierschanzentournee, zweifacher Weltmeister, einmal Weltcupgesamtsieger. Als Leistungszentrum für Ski- und Eislaufsportler ist die Region trotz Schneemangels bis heute weltweit berühmt.

Tourismusverband Erzgebirge e. V., Adam-Ries-Str. 16, 09456 Annaberg-Buchholz, Tel. (0 37 33) 1 88 00-0, www.tourismus-erzgebirge.de