Den Dialog nie gesucht

Es ist richtig, islamistische Organisationen wie Hizb-ut Tahrir und den „Kalifatsstaat“ zu verbieten, da sie die Demokratie bekämpfen. Eine Erwiderung auf Werner Schiffauer

Die Islamisten negieren die islamische Geschichte, sie berufen sich willkürlichauf „die Schrift“

Vor wenigen Wochen hat Bundesinnenminister Otto Schilly bereits die dritte islamistische Organisation verboten: Hizb-ut Tahrir. Zuvor hatte den „Kalifatsstaat“ und den „Al-Aqsa-Spendenverein“ getroffen. Es ist legitim, anzuzweifeln, ob eine Verbotspolitik die richtige Antwort auf die islamistische Herausforderung in Europa ist – wie dies der Anthropologe Werner Schiffauer kürzlich (taz v. 30. 1.) getan hat. Problematisch ist allerdings, wenn er mit irreführenden Begriffen und einer undifferenzierten Betrachtung der islamistischen Gemeinden allgemein gegen ein Verbot islamistischer Organisationen plädiert.

So erwähnt Schiffauer nicht den Antisemitismus von Hizb-ut Tahrir, der zu ihrem Verbot führte. Statt dessen spricht er verharmlosend vom „antiisraelischen Diskurs“. Und den antiwestlichen Diskurs von Hizb-ut Tahrir beschränkt er dann auf einen „radikalen antiamerikanischen“ Diskurs, was zu dem sich in Deutschland verbreitenden Antiamerikanismus passt. Die verbotenen Organisationen sind angeblich revolutionär und Opfer eines „obrigkeitsstaatlichen Verbots“.

Die Irreführung wird mit der unkorrekten Verwendung des Begriffs Islamismus fortgesetzt. Schiffauer setzt die Islamisten und die Islamreformer gleich. Doch das sind zwei Paar Schuhe. Der politische Islam, auch Islamismus genannt, strebt die Wiederherstellung eines islamischen Staates mit oder ohne Kalifat an. Er wurde in den 40er-Jahren durch den Pakistaner al-Mawdudi radikalisiert, der die Gottesstaatstheorie aufstellte – und dabei stark von totalitären den Systemen etwa Hitlers oder Stalins beeinflusst wurde.

In den 60er-Jahren definierte dann der Ägypter Sayyed Qutb die islamischen Gesellschaften als nicht islamisch und rief deshalb zum Heiligen Krieg, Dschihad, gegen sie auf. Daraus entstand die Dschihadi-Strömung, deren Protagonisten in vielen islamischen Ländern Massaker und Anschläge verübten. Die Islamisten negieren die islamische Geschichte und Tradition. Sie berufen sich nur auf die Schrift und interpretieren sie neu, aber willkürlich. Ihre Gottesstaatstheorie, die „Hakimiyat Allah“, gab es früher nicht.

Anders die Islamreformer. Sie wollen mit dem islamischen Dogma brechen – aber die Tradition nicht abschaffen, sondern fortsetzen. Die islamische Offenbarung ist ewig gültig und fähig, sich an die historischen Gegebenheiten anzupassen. Deshalb fördern sie eine neue zeitgenössische Lektüre der Schrift.

Beide Strömungen, die islamistische und die reformistische, stellen zwei verschiedene Arten der Auseinandersetzung mit der Moderne dar. Die Islamisten übernehmen westliche totalitäre Ideologien und reproduzieren sie islamisch. Die Islamreformer versuchen ihre Tradition zu reformieren, um zur Demokratie zu gelangen.

Bei Schiffauer werden aus Islamisten letztlich Islamreformer. Damit rückt er die verbotenen Organisationen in ein günstiges Licht.

Hizb-ut Tahrir gehört aber nicht zur Strömung der Islamreformer. Seit ihrer Gründung 1952 steht in ihrem Programm die Errichtung eines Kalifatsstaates weltweit. Von Anfang an hat sich Hizb-ut Tahrir als politische Partei verstanden und nicht als religiöse Bewegung. Sie wurde zur Zeit ihrer Entstehung vom faschistischen Modell beeinflusst und hat als erste islamistische Organisation die Gewalt in ihr Programm aufgenommen.

Die Machtergreifung soll nach ihrer Vorstellung durch einen Staatsstreich erfolgen. Und Staatsstreiche hat sie des öfteren organisiert. Von Jordanien über Ägypten bis Tunesien sorgte die Organisation für Unruhen und wurde schließlich in allen arabischen Ländern verboten. Zuflucht fanden die Tahriris in Europa. Aus Deutschland und Österreich organisierten sie ungestört Anschläge in Tunesien (1983) und Ägypten (1984) mit. Der blutige Überfall auf die Militärakademie 1974 in Kairo markiert den Beginn des mörderischen Kampfes der Dschihadis-Stömung und dient ihr als Vorbild.

Trotz des Schutzes, den sie im Westen bis heute genießen, betrachten die Tahriris in ihren Schriften die Demokratie als ersten und gefährlichsten Feind. Aus taktischen Erwägungen haben sie zur Zeit kein Interesse, materielle Gewalt in Europa anzuwenden, sie verbreiten stattdessen ideologische Gewalt und sind an keinem Dialog interessiert. Auf diesem Boden will Schiffauer „Pflänzchen demokratischer Kultur“ wachsen sehen?

Auch wenn Werner Schiffauer sich der deutschen Seite zuwendet, ist seine Darstellung tendenziös. Es ist die Rede von einer „christlich-abendländlichen Wertegemeinschaft“, die die Verantwortung für den Holocaust, den Kolonialismus, den Imperialismus und den Rassismus trägt und trotzdem von den Muslimen „moralische Bekenntnisse“ abverlangt. Sie bedrängt sie solange, bis sie „sich zu einer islamisch gefärbten christlichen Konfession“ bekennen. Nur: Es ist daran zu erinnern, dass wir in einer Demokratie leben, die auf Aufklärung und Menschenrechten und nicht auf dem Christentum basiert.

Lange vor Samuel Huntington haben die Islamisten zum Kampf der Kulturen aufgerufen

Schiffauer argumentiert ebenso kulturalistisch wie die Islamisten, die den Westen als verdorben, ungerecht und amoralisch betrachten. Lange bevor Samuel Huntington vom Zusammenprall der Zivilisationen sprach, haben die Islamisten zum Kampf der Kulturen aufgerufen.

Zum Glück sehen die Verhältnisse anders aus. In unserer Demokratie sind wir alle Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten. Religiöse und kulturelle Fragen, die das Zusammenleben tangieren, werden durch den Dialog behandelt. Der Dialog hat eine zentrale integrative Funktion in einer Demokratie. Um diese Funktion wahrzunehmen, muss er auf einer gemeinsamen Basis, nämlich dem Grundgesetz, stattfinden. Wer diese Basis nicht anerkennt, ist nicht dialogwürdig. Wer dazu Gewaltbereitschaft zeigt, wird Objekt der Strafverfolgung. Das gilt für die Radikalislamisten genau wie für die Rechtsextremen. Die bisher verbotenen Organisationen haben diese Grundlage der hiesigen Gesellschaft nie anerkannt und den Dialog mit ihr nie gesucht.

Der Wunsch, dass der Islamismus „aus den islamischen Gemeinden heraus überwunden wird“, ist lobenswert. Aber zu glauben, dass er sich ohne Einmischung von außen vollziehen kann, ist illusorisch. Der Islamismus hat sich in den letzten zwanzig Jahren ständig ausgebreitet und seine Überwindung war innerhalb des organisierten Islams nie ein Thema. Die Dialogbereitschaft der Muslime über den Islamismus und vor allem die Öffnung mancher ihrer Gemeinden wurde durch den 11. September spürbar gefördert.

Die Auseinandersetzung mit der Mehrheitsgesellschaft ist dabei genau so wichtig wie die innere Auseinandersetzung innerhalb der Gemeinde. Kritik an den Islamisten muss möglich sein, denn jede Einschränkung der sachlichen Kritik beeinträchtigt die Dialogkultur und unsere Demokratie. RALPH GHADBAN