Bittersüße Vereinbarung

Europas Zuckerindustrie poliert ihr Image auf: Sie verpflichtet sich auf Sozialstandards

BERLIN taz ■ Als erste Branche hat die europäische Zuckerindustrie Sozialstandards festgeschrieben. Gestern unterzeichneten die Ausschüsse der europäischen Zuckerhersteller (CEFS) und der europäischen Lebens-, Genussmittel- und Gastgewerbegewerkschaften (Effat) Eine Vereinbarung, auf die sich die rund 300.000 Beschäftigten ab Januar 2004 berufen können.

Die Mitgliedsunternehmen verpflichten sich, Menschenrechte anzuerkennen, etwa die Freiheit, Gewerkschaften zu gründen, oder das Verbot von Zwangs-, Pflicht- und Kinderarbeit und Diskriminierungen jeglicher Art. Auch Gesundheits- und Arbeitsschutz sowie eine „gerechte Bezahlung“ gehören dazu. Relativ vage bleibt die Vereinbarung bei der Wahl der Zulieferer, wo es nur heißt: „Die Europäische Zuckerindustrie wird also (…) sehen, ob sie einen konkreten Beitrag zur Bekämpfung der Kinderarbeit leisten kann.“

Die vereinbarten Standards blieben zum größten Teil hinter den de facto in der EU bereits angewandten zurück, sagte Jörg Lindner von der deutschen Gewerkschaft NGG der taz. Sie seien deshalb vor allem als Signal an die EU-Beitrittsländer zu werten, in denen die Arbeitsbedingungen derzeit zum Teil erheblich schlechter seien. Positiv hob Lindner aber hervor, dass Effat und CEFS die Umsetzung der Regeln kontrollieren und dem entsprechenden EU-Ausschuss jährlich darüber berichten wollen.

Transfair-Geschäftsführer Dieter Overath zeigte sich weniger begeistert. Seiner Einschätzung nach geht es den Konzernen lediglich darum, ihr Image aufzupolieren und sich somit in Stellung zu bringen für das drohende Ende der EU-Zuckermarktordnung (ZMO) im Jahr 2006. Oxfam-Sprecher Jörn Kalinski fand es sogar besonders perfide, dass die Unternehmen eigene Sozialstandards bewürben, während sie zugleich mitverantwortlich seien, dass die Zuckerherstellung in den Ländern des Südens immer billiger werden müsse.

Weltweit produzieren 127 Länder Zucker aus Zuckerrohr oder Zuckerrüben. Um die eigene Zuckerindustrie zu schützen, schotten die meisten – einschließlich der EU – ihre Märkte mit hohen Zöllen gegen den Weltmarkt ab. Speziell den europäischen Ländern ist es mit ihrer ZMO aus dem Jahr 1968 nicht nur gelungen, den eigenen Zuckersektor am Laufen zu halten, sondern sogar zum zweitgrößten Exporteur der Welt zu werden – und das, obwohl Zucker aus Rüben nur mit einem erheblich höheren Energieaufwand und auch insgesamt teurer herzustellen ist als aus Rohr. Die Hersteller erhalten das Dreifache des Weltmarktpreises. Und da sie ihre Überschüsse billig exportieren, drücken sie den Preis dort weiter. Für die Länder im Süden ohne staatliche Protektion bedeutet das: miese Arbeitsbedingungen, Beschäftigung von Kindern zu Niedrigstlöhnen, kaum Umweltstandards, hohe Arbeitslosigkeit. BEATE WILLMS