: Dem Andenken eines Querkopfs
Mit einem Symposium ehrten Anhänger und „Hörer“ ihren Lehrer Ivan Illich, den Kritiker der modernen Institutionen
taz ■ „Für Ivan Illich zum Abschied“ haben sich am Wochenende an die 150 Menschen versammelt – die wenigsten von ihnen in dem Alter, in dem Studierende normalerweise sind. Alle haben immer wieder das Glück gesucht, im Geiste bei ihm zu sein. Bei „Ivan“, wie ihn der Pädagoge Johannes Beck nennt, bei diesem weltberühmten Priester und Intellektuellen, der sich seit 1991 immer wieder neu zu Gastvorlesungen an der Bremer Universität verpflichtet hat.
Aus allen Richtungen waren sie gekommen. „War Ivans Lehre an dieser Universität nicht ein Widerspruch?“, fragte Beck jetzt, zwei Monate nach Illichs Tod. Immerhin hatte der als Gastvortrags-Redner zum 20-jährigen Jubiläum der Uni 1991 im Bremer Rathaus erklärt, die Universitäten hätten „das Kostbarste aufgegeben“, indem sie sich zum Raum für Vertreter von Disziplinen und anderer Interessen“ machen ließen. Abfällig hatte Illich über das herrschende „Austüfteln von Machbarkeiten“ gespottet, und dennoch jeden Freitag im Bibliothekssaal gelehrt.
Die meisten Studierenden werden ihn nicht gekannt haben, obwohl Illich sicherlich der weltweit bekannteste unter den bremischen Universitätslehrern war. Dutzende von Nachrufen erschienen, beim Symposium wurden Kopien in chinesischen (oder waren es japanische?) Schriftzeichen verteilt. Fast ausschließlich waren sie mit „Jugendfotos“ von Illich illustriert. Sie bezogen sich auf seine weltweit berühmt gewordenen Schriften aus den 70er und 80er Jahren, in denen er die Institutionen der modernen Welt radikal in Frage stellte.
„Führe uns nicht in die Diagnose, sondern erlöse uns von der Sucht nach Gesundheit“, hat Illich einmal gesagt. „Lebenskunst setzt Kunst des Sterbens voraus.“ Was die da versammelten Intellektuellen so fasziniert an dem Geist Illich, ist die gründliche Art, wie er Kategorien des Selbstverständlichen „bedenken“ konnte und damit in Frage stellte. Wie wurde der Mensch „erziehungsbedürftig?“, fragte Illich. Warum wird dem Menschen das Leben zur „Flucht vor dem Tod“?
In seinen Bremer Vorlesungen ging es oft um den “Verlust der Proportion“ – als Versuch, die Moderne kritisch zu verstehen, weil an die Stelle natürlich-urspünglicher Traditionen immer mehr die Erfindungen des technisch versierten Geistes treten. Kurz vor dem Tode beschäftigte Illich seine Zuhörer mit der „Korruption des Christentums“, die er in der Institutionalisierung sah. Er bat darum, sein Manuskript mit Anmerkungen und Kommentaren zu versehen und ihm zu bringen: „Kreativ verschmierte Exemplare können gegen saubere eingetauscht werden.“
Die Dekanin für Erziehungs- und Bildungswissenschaften, Ursula Pixa-Kettner, gestand bei dem Gedenk-Symposium am vergangenen Freitag ein, dass ihr bei dem für Illich typischen „Galopp durch Disziplinen und Epochen“ manchmal „ganz schwindelig“ werde, zumal Illich „mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet“ habe.
Marianne Gronemeyer aus Wiesbaden trug bei dem Illich-Symposium Gedanken zur Hochschulreform vor. Diese schienen die Frage, ob ein Illich dazu nicht in Widerspruch stehe, klar zu beantworten. Die moderne Institution Universität lasse sich messen mit Kategorien von Input und Output, habe also die Bindung an Sinn, Bedeutung und Wahrheit aufgegeben. Unter dem Schlagwort von den „Schlüsselqualifikationen“, so Gronemeyer, werde den Studierenden „ein Zuschnitt verpasst“. „Human engineering“ sei das Schlagwort, Menschenbildung nach dem Baukastenprinzip. „Und die Hochschule tritt ihren Studierenden als Anbieter solcher Fertigkeiten gegenüber.“ Ist also Illichs Lehrtätigkeit in der Universität ein Selbstwiderspruch?
„Und ob“, sagt Gronemeyer. Allenfalls sei es noch ein Zeichen der Hoffnung, „dass Ivan in dieser entleibten Universität zu seinen Hörern sprach“. An dieser Stelle verließ der Dekan für die Lehre die Veranstaltung.
Im Jahre 1992 hatte der krebskranke Ivan Illich einen Brief zu seinem Tod geschrieben. „Herztausch und versichertes Medizid sind gleichmäßig geschmacklos, geruchlos, unfassbar und un-weltlich“, heißt es da. „Wir Alten gehören zur Generation der Pioniere dieses Un-Sinnes. Wir sind die letzten der Generation, durch die das Entwicklungs-, Kommunikations- und Dienstleistungswesen zum weltweiten Bedürfnis geworden ist.“ Die weltentfremdete Entsinnlichung und programmierte Hilflosigkeit stelle, von uns propagiert, den Abfall der durch seine Generation im Himmel und auf Erden abgelagert wurde, in den Schatten. „Wir waren in den Schlüsselposten“, heißt es in dem testamentarischen Schreiben weiter, „als das Fernsehen den Alltag entrückte.“ Er habe damals noch nicht gewusst, so Illichs Brief weiter, wie sehr dadurch der„Horizont mit verwalteten Darstellungsmöbeln verrammelt“ werde. Nun wolle er sich vorbereiten, nicht „zu Tode zu kommen, sondern intransitiv zu sterben“.
Klaus Wolschner
Der Link zu Illichs Vermächtnis: www.pudel.uni-bremen.de