: SPD-Linke will lieber intern streiten
Ein Sonderparteitag muss nicht unbedingt sein, finden selbst die schärfsten Kritiker von Kanzler Schröder in der SPD. Zunächst wollen sie heute im Parteivorstand über den künftigen Kurs debattieren. Ihr Vorschlag: weniger Steuern, mehr Schulden
von ULRIKE HERRMANN
Soll man nun einen Sonderparteitag fordern – oder lieber nicht? Die SPD-Linke hat sich noch nicht ganz geeinigt, wie sie diesen Vorschlag ihres Mitstreiters Gernot Grumbach bewerten soll. Der Bezirksvorsitzende von Hessen-Süd hatte öffentlich verlangt, dass auch die Parteibasis über Kurskorrekturen der SPD mitentscheiden darf. Inzwischen haben sich weitere Kreisverbände angeschlossen, so unter anderem Dortmund.
„Was sollte ein Sonderparteitag bringen?“, fragt sich hingegen Hermann Scheer. Der Bundestagsabgeordnete hält „die Idee für Quatsch und eine Ersatzhandlung“. Er bevorzugt intensive Diskussionen in Fraktion und Vorstand, anstatt auf einem zweitägigen Parteitag mit 500 Delegierten „nur den Eindruck von Nervosität zu erzeugen“. Das sei „kein guter Ratgeber für intelligente Strategien“.
Ähnlich sieht es Fraktionsvize Michael Müller. Er plädiert dafür, zunächst einmal die Beratungen der Programmkommission abzuwarten, die der Parteivorstand kürzlich eingesetzt hat. Sie soll ihre Ergebnisse im Sommer vorlegen. Allerdings wäre Müller nicht abgeneigt, den ordentlichen Parteitag im nächsten November vorzuziehen – „wenn es die Situation verlangt“.
Eine solche Situation kann sich Vorstandsmitglied Andrea Nahles durchaus vorstellen: „Wenn die Mehrheit der Basis einen Sonderparteitag will, dann machen wir das.“ Gleichzeitig kritisierte sie gestern SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, der einen Sonderparteitag kategorisch abgelehnt hatte: „Das hätte man erst einmal im Parteivorstand erörtern sollen.“
Denn das Gremium trifft sich heute Morgen und hat noch einen weiteren zentralen Tagesordnungspunkt zu bearbeiten: Fünf führende Parteilinke haben ein Diskussionspapier geschrieben und bereits durch die Medien zirkulieren lassen. Mitautorin Nahles erwartet eine „heftige Diskussion“ im Parteivorstand.
Tatsächlich wird nicht weniger gefordert als eine radikale Abkehr von der bisherigen Finanz- und Wirtschaftspolitik der SPD-Minister Hans Eichel und Wolfgang Clement. „Fünf kurzfristig wirksame Maßnahmen“ sollen die Binnennachfrage und damit das Wachstum stimulieren. Zu den Vorschlägen gehört unter anderem, dass die „Gewerbesteuerumlage“ gesenkt wird. Die Kommunen müssten also weniger von ihren Steuereinnahmen an den Bund abführen. Und um die Massenkaufkraft zu stärken, will man die Einkommensteuerreform in Teilen vorziehen. „Der Grundfreibetrag sollte rückwirkend zum 1. 1. 2003 erhöht, der Eingangssteuersatz abgesenkt werden.“
All dies würde weitere Löcher in den Bundeskassen reißen, die Euro-Stabilitätskriterien würden verfehlt. Doch das nehmen die Autoren bewusst hin. Ihr Argument: Auch mit aktuell 4,6 Millionen Arbeitslosen lassen sich die Stabilitätsziele nicht erreichen.
Gestern Abend, nach Redaktionsschluss, wollten sich die Parteilinken nochmals treffen, um ihr Vorgehen im SPD-Vorstand zu besprechen. So war noch nicht geklärt, ob man das Diskussionspapier förmlich abstimmen lassen wollte. Scheer konnte jedoch vorab gegenüber der taz „keinen großen Zweck“ an einer Abstimmung erkennen. Man wolle doch einen „Diskussionsprozess auslösen“. Eine Kampfabstimmung würde nur unnötige Fronten erzeugen.
Zum Gesprächsklima soll auch beitragen, dass sich die Parteilinke heute Morgen vor der Vorstandssitzung mit dem SPD-Chef und Bundeskanzler trifft. Nahles konnte sich nicht vorstellen, „dass Gerhard Schröder alles abbügelt“. Auch in der Fraktion warten Kritiker. Sie trifft der Kanzler heute am Abend.
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