: Bohemiens im Wind der Geschichte
Holm Friebe und Thomas Ramge sind so etwas wie Leitfiguren der digitalen Boheme. In „Marke Eigenbau“ rufen sie das endgültige Ende der industriellen Massenproduktion aus. Und leiten die Revolution des Selbermachens ein
Der Wind der Geschichte hat die digitale Boheme erfasst. Es mag vielleicht so aussehen, als habe sein wildes Pusten die gedachte Gemeinschaft Internet-affiner Freiberufler gründlich zerstreut. Aber nein, er trägt sie, entnimmt man dem jüngsten Buch des Miterfinders der digitalen Boheme, Holm Friebe, alle zusammen auf einer großen Woge hinaus aus den WLAN-Hinterzimmern und -Cafés von Berlin-Mitte, mitten hinein in den Strom einer weltweiten Bewegung. „Marke Eigenbau“, verfasst zusammen mit Thomas Ramge von brand eins, erzählt von einer „Revolution des Selbermachens, der Eigeninitiative und der Selbstorganisation“, die „mittelfristig auch die Landschaft der Organisationen und die Wirtschaftsstruktur verändern“ werde.
Zu solchem Klappern gehört Handwerk. Bei Bastlern, Tüftlern und Hackern machen Friebe und Ramge mit dem US-amerikanischen Soziologen Richard Sennett, der seiner Vorliebe fürs Manufakturwesen zuletzt in dem Essay „HandWerk“ Nachdruck verlieh, „ein dauerhaftes menschliches Grundstreben“ aus – „den Wunsch, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen“.
Daneben stützen sich die beiden auf die etwas dürftige Empirie zahlreicher Weblogs und einiger Berliner Läden, um ihre Beobachtung einer Massenbewegung gegen die Fließbandproduktion uniformer Waren plausibel zu machen. „Selling more of less“: Dank der Vertriebs- und Marketingwege des Internets würden schon jetzt immer größere Umsätze „am langen Ende der Nachfragekurve“ gemacht, dort, wo nicht im großen Stil produziert wird.
Das Handelsblatt hat hierin bereits eine Pflichtlektüre für Management-Etagen ausgemacht. Doch das ist nicht gerade die Bewegung, als deren Teil sich Friebe und Ramge begreifen, auch wenn sich „Marke Eigenbau“ über weite Strecken liest wie ein „Ratgeber selbstständig machen 2.0“ und vieles schon auf den jährlichen Trendtagen der Wirtschaft besprochen wurde. Denn von solchen Veranstaltungen, die Managern, Produktentwicklern und Marketingstrategen helfen, in den veränderten Windverhältnissen auf dem Markt ihren Mann zu stehen, unterscheidet sich das Buch durch seine Perspektive.
Die Kräfte, die Friebe und Ramge am Werke sehen, seien „eine Gegenbewegung zu den Strukturen des Konzernkapitalismus und zu den menschen- und umweltfeindlichen Bedingungen, mit denen der Konzernkapitalismus heute arbeitet“, verkünden sie im Trailer zum Buch auf YouTube. Das wäre, wie im Buch ausgeführt wird, zum einen die Macht der Konsumenten, „mit Shopping die Welt zu verändern“, für eine „True Economy“ zu stimmen, die ihre Herstellung transparent gestaltet (also zum Beispiel offenlegt, ob Kinderarbeit in der Ware steckt), oder durch Kaufentscheidungen die „nachhaltige Herstellung von Produkten“ zu fördern.
Die zweite Säule ihrer Gegenbewegung stellen die schon zuvor in „Wir nennen es Arbeit“ beschriebenen Freiberufler dar, Leute, die genug von der „milden Krankheit Erwerbsarbeit“ haben. Sie verdienen „selbstverwirklicht Geld“ als Kleinstproduzenten digitaler oder realer Güter oder indem sie ihr Wissen im Internet zur Verfügung stellen – egal, ob ihre Arbeit gering, hoch oder gar nicht vergütet wird.
„Produzenten und Konsumenten wollen beweisen, dass eine andere Arbeitswelt möglich ist“, fassen die beiden ihre Gegenwartsanalyse zusammen. Lässt man einmal den gegen „Wir nennen es Arbeit“ oft erhobenen Vorwurf beiseite, es handele sich hierbei um die rhetorische Aufmantelung der eigenen Arbeitsbedingungen, fällt die Beharrlichkeit auf, mit der immer wieder eine subversive Kraft hinter der Ablehnung des Normarbeitsverhältnisses behauptet wird.
Gleiches gilt für die Macht der Konsumenten. Man kann einwenden, der von Friebe und Ramge starkgemachte „strategische Konsum“ sei überschätzt oder von vielen Konzernen längst zu einer einträglichen Sparte ihres Produktsortiments gemacht geworden. Trotzdem ist es ja nicht völlig gleichgültig, was gekauft wird.
Dank seines leidenschaftlichen Eintretens für einen „Kapitalismus mit menschlichem Gesicht“ taugt „Marke Eigenbau“ sicher zum Coffeetable-Book für schwarz-grüne Wertegemeinschaften. Aber ebenso gibt das Buch einen Anhaltspunkt dafür, dass ein kleiner Rest der Forderungen, die von den sozialen Bewegungen der 60er-, 70er- und 80er-Jahre erhoben wurden, bei ihrer Eingemeindung in die neuen Regularien des Weltmarktes links liegen geblieben ist.
CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK
Holm Friebe, Thomas Ramge: „Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“. Campus Verlag, Frankfurt 2008, 288 Seiten, 19,90 €