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Archiv-Artikel

God’s Own Country Gone Bad

Der große amerikanische Antiroman. Denis Johnson beschreibt in seinem neuen Buch „Ein gerader Rauch“ den Vietnamkrieg vor dem Hintergrund des Irakkriegs. Manipulierte Geheimdienstakten, Idealismus, fast tausend Seiten, Soldaten, die durchdrehen

„Antiromane sind entstanden aus einem tiefen Misstrauen gegen die traditionelle Fabel, gegen eine ‚Geschichte mit lebendigen und handelnden Personen‘.“ Metzler Literatur Lexikon

VON TOBIAS RAPP

Es ist ein interessanter kultureller Unterschied, dass in den USA da, wo man in Deutschland von „Vergangenheitsbewältigung“ und von „Aufarbeitung der Geschichte“ spricht, gerne der Begriff „american experience“ verwendet wird. Die „american experience in Iraq“ oder die „american experience in Vietnam“. Und damit ist selbstverständlich nicht der Erfahrungsschatz im Handwerk des Kriegsführens gemeint – es geht um die Erfahrung dieses Krieges, als „amerikanische Erfahrung“. Die beiden Modelle sind gar nicht so weit voneinander entfernt: Beide Male geht es um die Frage, wie es zu dieser Geschichte kommen konnte, wie diese Erfahrung möglich wurde. Der Unterschied liegt in den verschiedenen Distanzen. Mit dem Begriff der „american experience“ lässt man das Grauen sehr nahe an sich herankommen. So gesehen ist das Führen dieser Kriege schlicht Teil davon, was es heißt, Amerikaner zu sein, so wie Einwandern, nach Westen gehen und eine Siedlung gründen und sie gegen Gefahren verteidigen.

Auch wenn man die Gültigkeit dieser Dialektik für das reale politische Geschehen da draußen nicht anerkennen muss, kein Krieg ist schließlich zwangsläufig, niemand muss ihn führen – für das Verfassen eines Romans ist sie geradezu ideal. Denn wovon sollte ein Vietnamkriegsroman heute sonst handeln? Johnson erzählt von Vietnam vor dem Hintergrund des Irakkriegs. Wie konnte es so weit kommen? Warum hat niemand etwas daraus gelernt?

Denn darum geht es in Denis Johnsons neuem Werk „Ein gerader Rauch“ auch. Neben Mord und Totschlag, Saufereien und Menschen, die vom Glauben abfallen, handelt es eben auch von fehlgeleitetem Idealismus, von Geheimdienstpannen und davon, wie Informationen von interessierter Seite manipuliert werden, um politische Ziele zu erreichen.

Und so sehr sich Johnson für das Buch ins Geschehen wirft, so deutlich ist es natürlich auch Kind all der anderen Geschichten, mit denen sich in Literatur und Kino schon am Vietnamkrieg abgearbeitet wurde. Zwei amerikanische Prototypen lässt Johnson aufeinanderstoßen, William „Skip“ Sands, einen CIA-Offizier, der sich selbst als Mischung aus dem „quiet american“ aus Graham Greenes Vietnam-Roman und dem „ugly american“ der liberalen Öffentlichkeit sieht. Ein gebildet-naiver Idealist, der von der gottgegebenen amerikanischen Mission überzeugt ist, der Welt Gutes tun zu müssen und den Kommunismus zu besiegen. Nach einem brutalen Mord seiner Behörde an einem Priester bekommt er Zweifel, findet sich aber nie zurecht in dem komplexen Machtspiel, das die Agentur nicht nur mit dem Vietcong, sondern vor allem zwischen ihren eigenen Dienststellen treibt.

Die andere Figur ist sein Onkel, Colonel Sands, deutlich nach Colonel Kurtz aus „Apokalypse Now“ modelliert, ein legendärer Elitesoldat, der nun bei der CIA ist, wie sein Neffe bei der Abteilung für psychologische Kriegsführung, dort aber langsam außer Kontrolle gerät, Ideen entwickelt, die dem höheren Befehlsebenen nicht passen, und so zum Problem wird. Viel in diesem grandiosen Roman erinnert an die surreale Welt von „Apocalypse Now“, Johnson hat eine ähnliche Gabe wie Coppola, die einzelnen Szene mit Details auszumalen, sei es die irre Akkuratesse, mit der die Geheimdienstmitarbeiter inmitten des Kriegschaos ihre Informationen katalogisieren, die theologischen Probleme, mit denen sich die Witwe des ermordeten Priesters herumschlägt, während um sie herum die Welt zusammenbricht, oder seien es die immer wieder aufs neue bizarren Tänze in den verschiedenen Puffs.

Denis Johnson gilt als Geheimtipp: Der richtig große Durchbruch ist ihm bisher nicht gelungen, was wahrscheinlich daran liegt, dass keines seiner Bücher der Formel des großen amerikanischen Romans folgt – eher der des großen amerikanischen Antiromans. Ob „Schon tot“ oder der Erzählungsband „Jesus’ Sohn“ – seine Bücher spielen in dieser Unterwelt der Einzelgänger, Kriminellen und Versehrten, in diesen Bars, wo sie sich die Kante geben, um damit zurechtzukommen, dass der amerikanische Traum sich in einen Albtraum verwandelt hat. Eine Zwischenhölle, wie die Priesterwitwe glaubt, weil nichts geblieben ist außer der Unsicherheit.

Es wird gemordet und gebrandschatzt, es wird getrunken und geredet und es wird viel Musik gehört in diesem Buch. Immer läuft auf irgendeiner Jukebox gerade der neueste Motownhit. Der Roman selbst hat nichts von der Zweieinhalbminutenherrlichkeit dieser Songs. Er mäandert in seiner Größe und Dunkelheit eher durch die Zeit wie eine der elektrifizierten Miles-Davis-Platten, die Anfang der Siebziger erschienen. Auch in seiner Formlosigkeit erinnert er „Dark Magus“ oder „Live Evil“: ewig lange Jams, die von nichts anderem getragen sind als dem Willen zum Weitermachen.

So ähnlich schreibt Johnson. Grob ist das Buch in Jahreskapitel unterteilt, es reicht von 1963 bis 1970 (mit einem kleinen Nachtrag aus den frühen Achtzigern). Und auch wenn es alles an historischen Daten mitnimmt, die diese Zeit bestimmen – es beginnt am Tag der Ermordung John F. Kennedys, die Tet-Offensive wird ausführlich beschrieben, die Ermordung Martin Luther Kings gestreift und Saigon geräumt –, eine wirklich nachvollziehbar konstruierte erzählerische Ordnung hat das nicht. Einige Tage sind das jeweils pro Jahr, die vorkommen. Die Protagonisten machen einfach immer weiter, Denis Johnson schaltet sich rein.

Diese wilde, halluzinogene Logik ist es auch, die dem Buch seinen Halt und seine Überzeugungskraft gibt. Den titelgebenden „geraden Rauch“ sieht man sowohl aus den brennenden Bauerndörfern aufsteigen, wie es das Codewort des Colonels für nichtverfälschte Geheimdienstinformationen ist. Mehrere Kisten davon wandern durch das Buch und müssen immer neu sortiert werden („Tree Of Smoke“, heißt es im Original).

Denis Johnson versucht sich mit „Ein gerader Rauch“ in die amerikanische Erfahrung einzufühlen, die sowohl in den Vietnam- wie in den Irakkrieg geführt hat. Wie kann, wenn man aus God’s Own Country stammt, ein fremdes Land so anders ticken? Sind nicht alle Menschen gleich? Und vor allem: Was heißt das im Umkehrschluss? Dass die Welt die Hölle ist?

Denis Johnson: „Ein gerader Rauch“. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarnell und Robin Detje. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 880 S., 24,90 €