Der Riss wird tiefer

Die USA demütigen ihre angeblich unzuverlässigen europäischen Partner

WASHINGTON taz ■ In bislang ungekannter Schärfe und Dichte distanzieren sich derzeit US-Politiker von europäischen Verbündetent. Es entsteht der Eindruck, dass es sich bei ihnen nur noch um lästige Klötze am Bein handelt, die man am liebsten loswerden will.

Die Entscheidung von Frankreich und Belgien, im Nato-Rat ein von Deutschland mitgetragenes Veto gegen Militärhilfe für die Türkei einzulegen und die angeblich von Paris und Berlin geschmiedeten „Geheimpläne“ für den Irak provozierten die bösen Reaktionen. Pentagon-Chef Donald Rumsfeld nannte es eine „Schande“, dass die Nato der Türkei keinen Schutz gewähre, einen „schrecklichen Fehler“ und ein „atemberaubendes Ereignis“. Der sonst so gemäßigte Außenminister Colin Powell bezeichnet den Vorgang als „unentschuldbar“ und den angeblichen deutsch-französischen Alternativplan als „absolut zwecklos“. Hier offenbart sich ein Riss, der das gesamte transatlantische Gefüge in Frage stellt.

Bislang sprachen die US-Medien stets vom „Showdown Irak“. Nun ist vom „Showdown mit Frankreich und Deutschland“ die Rede. New York Times-Kolumnist Thomas Friedman möchte am liebsten Frankreich im UN-Sicherheitsrat durch Indien ersetzen. „Frankreich ist so gefangen in seinem Bedürfnis, sich von den USA zu unterscheiden, um sich bedeutsam zu finden, dass es nur noch töricht handelt“, schreibt er.

Unterdessen beschleunigt die Bush-Regierung ihre Fahrt Richtung Bagdad. Powell warnte bereits ultimativ, falls Saddam Hussein nicht bis Ende dieser Woche ernsthaft mit der UNO kooperiere, würde George W. Bush umgehend eine zweite UN-Resolution fordern. Diese solle dann den Einsatz militärischer Gewalt autorisieren. Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice lieferte ergänzend einen Einblick in die Denkweise der US-Regierung. „Selbst wenn Saddam Hussein morgen ins Exil gehen sollte, schließen wir eine Invasion nicht aus.“ Der Offenbarungseid – nicht „Regimewechsel“ sei das Ziel, sondern die Okkupation des Landes – könnte den Widersachern in Berlin, Paris und Moskau es noch schwerer machen, mit Washington eine gemeinsame Linie zu finden.

Der erbitterte Streit könnte bald zu ersten praktischen Konsequenzen führen. Laut denkt die Bush-Regierung darüber nach, die militärische Präsenz der USA in Europa zu verändern. US-Stützpunkte in Deutschland sollen verkleinert oder abgebaut werden. Stattdessen werden kleinere, rotierenden Einheiten an den neuen Süd- und Ostflanken des Nato-Bündnisses stationiert. Die Botschaft ist klar: Der Einfluss des „alten“ Europa wird beschnitten. Länder wie Rumänien oder Polen, die einen US-freundlichen Kurs in der Irak-Frage fahren, werden belohnt.

MICHAEL STRECK