: Womit die Unsichtbaren schreiben
Als Geschenke der Elfen präsentieren 23 isländische Designer ihre Ideen im Haus der nordischen Botschaften. Auch an praktische Hilfsmittel wird gedacht, die jahrhundertlange Desorganisation in den Elfenunternehmen endlich zu beseitigen
von WOLFGANG MÜLLER
Ein paar geschnitzte Holzlöffel, ein Holzkästchen mit Höfdaleturschnitzereien – einer dekorativen Spielart des Alphabets – und ein einfaches, mit Stroh gepolstertes Bett. Reiches Inventar war in den meist kleinen, feuchtkalten isländischen Häusern der Vergangenheit nicht zu finden. Die Isländer zählten über Jahrhunderte zu den ärmsten Völkern Europas. Ganz anders sah es in der Elfenwelt aus. Dort schien immer die Sonne, gab es Nahrung im Überfluss. Im Schlaraffenland fanden sich die schönsten Dinge: seltene Silber- und Goldknöpfe mit wunderbaren Verzierungen, blaue Handschuhe aus feinster Wolle und Lederhemden mit eingravierten Zauberrunen. Wenn die Elfen sich bei den Menschen bedankten, dann wurden diese manchmal mit Zauberkraft ausgestatteten Produkte in deren Besitz gegeben. Andererseits, so ist in einem isländischen Märchen zu lesen, führte die Weigerung eines Pfarrers, das Kind einer Elfe zu taufen, zu böser Rache. Statt eines prächtigen Ornats hinterlässt die wutschnaubende Elfenmutter dem Geistlichen einen ausgesprochen schäbigen Lappen.
Geschenke von Elfen an Menschen spielen in Island eine besondere Rolle. Und so haben die Kuratoren der Ausstellung „Mythologie im Design“, Sólveig Sveinbjörnsdóttir und Hrafnkell Birgisson, den beteiligten Gestaltern die Frage gestellt: Was würden die Elfen den Menschen heute schenken? Heute, wo Island zu den reichsten Länder der Welt gehört. Im Gemeinschaftshaus der nordischen Botschaften präsentieren 23 isländische Industrie-, Produkt- und Grafikdesigner ihre Antworten.
Moosgrüne Zelte, 23 an der Zahl, ermöglichen einen Einblick. Im Innern der sanft gerundeten, steinförmigen Zelte leuchtet je ein Licht. Das ist der richtige Ort, einen Blick auf die Pracht des Elfendesigns zu erhaschen. Denn immer, wenn etwas von den Huldufólks, den Unsichtbaren, sichtbar wurde, öffneten sich bekanntlich moosüberwachsene Felsen und es gab etwas zu bewundern. Hier beispielsweise ein Lichtmosaik von Adalsteinn Stefánsson: Das mehrteilige Objekt aus Acryl, Eisen und Elektronik leuchtet in ständig changierenden Farben von Rot über Blau bis Gelb. Vermutlich das Geschenk einer Ljósálfar, einer Lichtelfe, bekannt für ihre Ambivalenz. Oder die Keramiken von Kristín Gardarsdóttir, formschöne Tassen, die zum besseren Halt Einbuchtungen für die Finger bieten. Eine sehr entgegenkommende Gestaltungsidee.
Kritiklos sind Elfen bekanntlich nicht. Wenn die Naturgeister im Lande bei Gefahr für ihre Behausung mit Störmanövern dafür sorgen, dass Straßen umgeleitet werden müssen, dann nimmt es nicht Wunder, dass sie auch ihre Kritik an aktuellen Problemen in schöne Muster verpacken können. Die Bettdecke aus gefärbtem Lochfilz von Textildesignerin Magrét Adolfsdóttir thematisiert sicherlich das Ansteigen der Ozonschicht und der Temperatur. Organische Formen bringen wissenschaftliche Statistiken auf den Punkt.
Ein Beispiel von modernem Organisationsdesign zeigt der Aktenkoffer, den Hjalti Karlsson und Jan Wilker aufgestellt haben. Aus seinem Inneren quillt der ganze bekannte grelle Schnickschnack, der zur minimalen Büroausstattung eines Elfenunternehmens gehört: Taschenkalender, Schlüsselanhänger, Kugelschreiber und Flaschenöffner. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, so meint das isländisch-deutsche Duo, seien die Elfen ans Licht der Öffentlichkeit getreten, hätten nach jahrhundertelanger Desorganisation ein Elfenunternehmen gegründet. Dadurch, dass die Isländer im Designbereich eigentlich keine klassische Tradition aufweisen könnten wie andere Länder, sei der kulturelle Hintergrund um so wichtiger, sagt die Modedesignerin Bergthóra Gudnadóttir: „Das Fehlen von historischen Fußstapfen, in die man treten könnte, macht den Unterschied. So gibt es die Möglichkeit, etwas sehr Eigenwilliges und Individuelles zu kreieren.“ Ob es gleich das Fleischgericht „Halber Elf in Ananas“ sein muss, wie es Linda Björg Árnadóttir mit einem Rezept vorschlägt, ist natürlich angesichts der Aktualität zum Thema Kannibalismus in Deutschland die große Frage.
„Wenn ich ein Elf wäre, was würde ich den Menschen schenken?“, fragt sich Hlynur Vagn Atlason und entwickelt einen sehr eleganten, einfachen Federhalter, der Klassisches und Modernes vereint. „Das Geschriebene hat die isländische Kultur und Geschichte durch die Jahrhunderte am Leben erhalten, und schließlich sind Elfen ein Teil dieser Geschichte.“ Das trifft genau den Punkt. So vertreten die Elfen ihre Interessen auch durch ihre Geschenke. Selbstlos sind sie nämlich nicht.
Bis 5. März, Haus der nordischen Botschaften in Berlin, Rauchstr. 1 , Mo–Fr 10–19, Sa und So 10–17 Uhr, Katalog 12 €